Die vierte Hand
unsportlichen Sohn, der ihn jedes drittes Wochenende besuchte. Der von der Scheidung seiner Eltern verstörte, problembeladene Junge war ein untergewichtiger Sechsjähriger, ein hartnäckiger Nichtesser - durchaus möglich, daß dies auf den Einfluß seiner Mutter zurückging, die ihre Lebensaufgabe schlicht und einfach darin sah, Zajac verrückt zu machen.
Die Exfrau, die Hildred hieß, äußerte sich in wegwerfendem Ton zu dem Thema. »Wieso soll der Junge essen? Sein Vater tut es doch auch nicht. Er sieht, wie sein Vater hungert, also hungert er selbst auch!« Deshalb durfte Zajac seinen Sohn laut Scheidungsregelung nur alle drei Wochen, und nie länger als ein Wochenende, sehen. Dabei hat Massachusetts die sogenannte Scheidung ohne Verschulden! (Ein Begriff, den Wallingford als sein Lieblingsoxymoron bezeichnete.)
In Wirklichkeit zermarterte sich Dr. Zajac den Kopf über die Eßstörung seines geliebten Kindes und suchte sowohl medizinische als auch praktische Lösungen für das Leiden seines Sohnes. (Hildred nahm kaum zur Kenntnis, daß ihr verhungert aussehender Sohn überhaupt ein Problem hatte.) Der Junge hieß Rudy; und an den Wochenenden, an denen er seinen Vater besuchte, bekam er häufig das Schauspiel vorgeführt, wie Dr. Zajac sich mit üppigen Portionen zwangsernährte, die er später, in zurückgezogener, disziplinierter Stille, wieder erbrach. Doch ob mit oder ohne das Beispiel seines Vaters, Rudy aß kaum etwas. Ein Kindergastroenterologe riet zu einem diagnostischen Eingriff, um eine mögliche Erkrankung des Colons auszuschließen. Ein anderer verschrieb einen Saft, einen unverdaulichen Zucker, der diuretisch wirkte. Ein dritter meinte, das Problem werde sich von selbst geben; das war der einzige gastroenterologische Rat, den sowohl Dr. Zajac als auch seine Exfrau akzeptieren konnten.
Unterdessen hatte Zajacs ehemalige im Haus wohnende Haushälterin gekündigt - sie konnte nicht mit ansehen, welche Unmengen von Lebensmitteln jeden dritten Montag weggeworfen wurden. Weil Irma, die neue, ebenfalls im Haus wohnende Haushälterin, an dem Wort »Haushälterin« Anstoß nahm, achtete Zajac von Anfang an darauf, sie als seine »Assistentin« zu bezeichnen, obwohl die Hauptaufgaben der jungen Frau darin bestanden, das Haus sauber zu halten und die Wäsche zu besorgen. Vielleicht war es das obligatorische tägliche Entfernen der Hundehaufen aus dem Garten, das ihr jeden Schwung nahm - die Schande der braunen Papiertüte, ihre Ungeschicklichkeit mit dem Kinder-Lacrosseschläger, das Niedere der Arbeit.
Irma war eine unscheinbare, stämmig gebaute junge Frau Ende Zwanzig, und sie hatte nicht damit gerechnet, daß zur Arbeit für einen »Mediziner«, wie sie ihn nannte, auch etwas so Erniedrigendes wie der Kampf gegen die Scheißgewohnheiten der Brattle-Street-Hunde gehörte. Außerdem kränkte sie, daß Dr. Zajac sie für eine Neueinwanderin hielt, für die Englisch eine Zweitsprache war. Englisch war Irmas erste und einzige Sprache, und das Mißverständnis rührte daher, daß Zajac nur sehr wenig verstand, wenn er zufällig ihre unglückliche Stimme am Telefon hörte.
Irma hatte ihren eigenen Apparat in ihrem an die Küche angrenzenden Zimmer und redete spät in der Nacht, wenn Zajac den Kühlschrank plünderte, oft ausführlich mit ihrer Mutter oder einer ihrer Schwestern. (Der skalpelldünne Chirurg beschränkte seine Imbisse auf rohe Möhren, die er in einer Schüssel mit schmelzendem Eis im Kühlschrank aufbewahrte.)
Zajac kam es so vor, als spräche Irma eine Fremdsprache. Teilweise wurde sein Hörvermögen sicher auch durch sein unablässiges Kauen auf rohen Möhren und das unerträgliche Gezwitscher der über das ganze Haus verteilten Singvögel in Käfigen beeinträchtigt, aber der Hauptgrund für Zajacs falsche Annahme war, daß Irma jedesmal hysterisch weinte, wenn sie mit ihrer Mutter oder ihren Schwestern sprach. Sie berichtete ihnen, wie demütigend es war, von Dr. Zajac ständig unterbewertet zu werden.
Irma konnte kochen, aber der Doktor nahm kaum je regelmäßige Mahlzeiten zu sich. Sie konnte nähen, aber Zajac betraute seine Reinigung mit der Reparatur seiner Praxis- und Klinikkleidung; was ansonsten an Wäsche blieb, waren im wesentlichen die verschwitzten Kleider, in denen er joggte. Zajac joggte morgens (manchmal im Dunkeln) vor dem Frühstück, und er joggte erneut (oft im Dunkeln) am Ende des Tages. Er war einer jener dünnen Männer Mitte Vierzig, die an den Ufern des Charles
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