Die vierte Hand
Medea lag Brust an Brust mit dem Handchirurgen, ihre Schnauze an seinem Hals, und liebkoste mit der Pfote die nackte Schulter des schlafenden Arztes. Irma machte große Augen. Noch nie hatte sie einen so ungestörten Blick auf einen nackten Mann werfen können. Daß Frauen sich nicht zu seiner überragenden Fitneß hingezogen fühlten, verwirrte den ehemaligen Mittelfeldspieler eher, als daß es ihn kränkte, aber obwohl er keineswegs ein unattraktiver Mann war, stach seine totale Verrücktheit ebenso deutlich ins Auge wie sein Skelett. (Jene war weniger offenkundig, wenn er schlief.)
Der Chirurg mit dem Transplantationsfimmel wurde von seinen Kollegen sowohl verspottet als auch beneidet. Er joggte zwanghaft, er aß fast nichts, er war ein Vogelnarr, dem es seit neuestem die Pantophagie eines überaus neurotischen Hundes angetan hatte. Außerdem bedrückte ihn die grenzenlose Seelenangst um seinen Sohn, den er kaum je zu Gesicht bekam. Doch was Irma nun in Dr. Zajac wahrnahm, setzte das alles außer Kraft. Plötzlich erkannte sie die heroische Liebe, die er dem Kind entgegenbrachte, eine von Mann und Hund gleichermaßen empfundene Liebe. (In ihrer neuentdeckten Schwäche war Irma auch von Medea tief bewegt.)
Irma hatte Rudy nie kennengelernt. Sie hatte am Wochenende frei. Was sie wußte, konnte sie lediglich Fotos entnehmen, deren Zahl nach jedem Besuch des geliebten Sohns zunahm. Zwar hatte Irma gespürt, daß Rudys Zimmer ein Schrein war, doch Zajac und Medea in inniger Umarmung auf dem Bett des kleinen Jungen vorzufinden, darauf war sie nicht gefaßt gewesen. Ach, dachte sie, so geliebt zu werden! In diesem Augenblick, in ebendieser Sekunde, verliebte sich Irma in Dr. Zajacs offenkundige Liebesfähigkeit - ungeachtet dessen, daß der gute Doktor keinerlei erkennbare Fähigkeit, sie zu lieben, an den Tag gelegt hatte. Auf der Stelle wurde Irma Zajacs Sklavin - nicht, daß er es so bald bemerkte.
In diesem lebensverändernden Moment schlug Medea ihre in Selbstmitleid schwimmenden Augen auf und hob den schweren Kopf, an dessen überhängender Lefze ein Sabberfaden hing. Für Irma, die sich hemmungslos dafür begeistern konnte, noch in den alltäglichsten Ereignissen Vorzeichen zu erkennen, hatte der Geifer des Hundes die betörende Farbe einer Perle.
Irma erkannte, daß auch Dr. Zajac gleich aufwachen würde. Der Doktor hatte einen Ständer, so dick wie sein Handgelenk und so lang wie ... nun ja, sagen wir einfach, daß Zajac für einen so dürren Burschen ein ziemliches Gemächt hatte. Irma kam daraufhin zu der Erkenntnis, daß sie schlank sein wollte.
Diese Reaktion erfolgte nicht weniger plötzlich als die Entdeckung ihrer Liebe zu Dr. Zajac. Die linkische junge Frau, die fast zwanzig Jahre jünger war als der geschiedene Arzt, sah sich kaum imstande, auf den Flur hinauszuwanken, ehe Zajac aufwachte. Um den Arzt darauf aufmerksam zu machen, daß sie in der Nähe war, rief sie den Hund. Medea trollte sich halbherzig aus Rudys Zimmer. Zur rasch in Schwanzwedeln übergehenden Verblüffung des depressiven Hundes begann Irma ihn mit Zuneigung zu überschütten.
Alles hat einen Zweck, dachte die einfache junge Frau. Sie erinnerte sich an ihr früheres Unglück und wußte, daß der Weg zum Herzen von Dr. Zajac über den Hund führte.
»Komm her, meine Süße, komm mit mir«, hörte Zajac seine Haushälterin/Assistentin sagen. »Heute essen wir mal nur, was gesund für uns ist!«
Wie bereits angemerkt, kamen Dr. Zajacs Kollegen nicht entfernt an seine Fähigkeiten als Chirurg heran; hätten sie nicht das Gefühl haben können, ihm auf bestimmten anderen Gebieten einiges vorauszuhaben, hätten sie ihn noch mehr beneidet und gehaßt. Es freute und ermutigte sie, daß ihr unerschrockener Vorgesetzter von Liebe für seinen unglücklichen, immer weniger werdenden Sohn so gebeutelt wurde. Und war es nicht herrlich, daß Bostons bester Handchirurg aus Liebe zu Rudy Tag und Nacht mit einem Scheiße fressenden Hund zusammenlebte? Es war grausam und herzlos von Dr. Zajacs Untergebenen, sich am Unglück von Zajacs Sechsjährigem zu delektieren, und die Kollegen des guten Handchirurgen hatten unrecht mit ihrem Urteil, der Junge »werde immer weniger«. Rudy war gestopft voll mit Vitaminen und Orangensaft; er trank püriertes Obst (zumeist tiefgefrorene Erdbeeren und zerdrückte Bananen) und schaffte es, jeden Tag einen Apfel oder eine Birne zu essen. Er aß Rührei und Toast; er aß auch Gurken, allerdings nur mit Ketchup. Er
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