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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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River entlangjoggen, als stünden sie in einem immerwährenden Fitneßwettbewerb mit sämtlichen Studenten, die ebenfalls in der Nähe des Memorial Drive joggen und gehen. Bei Schnee, bei Schneematsch, bei Schneeregen, bei Sommerhitze - selbst bei Gewittern - joggte und joggte der dürre Chirurg. Bei einer Größe von einsachtzig wog Dr. Zajac knapp über sechzig Kilo.
    Irma, die einssiebenundsechzig groß war und achtundsechzig Kilo wog, war davon überzeugt, daß sie ihn haßte. Nachts schluchzte sie die Litanei der Kränkungen, die Zajac ihr zugefügt hatte, ins Telefon, doch wenn der Handchirurg sie hörte, dachte er nur: Tschechisch? Polnisch? Litauisch?
    Als Dr. Zajac sie fragte, woher sie kam, antwortete Irma indigniert: »Boston!« Schön für sie!, folgerte Zajac. Keiner ist so patriotisch wie der dankbare europäische Einwanderer. So beglückwünschte Dr. Zajac sie zu ihrem guten Englisch, »wenn man bedenkt«, und Irma weinte sich nachts am Telefon die Seele aus dem Leib.
    Sie enthielt sich jeden Kommentars über die Lebensmittel, die der Doktor jeden dritten Freitag kaufte, und Dr. Zajac gab keine Erklärung für die jeden dritten Montag erteilte Anweisung, alles wegzuwerfen. Die Lebensmittel - ein ganzes Huhn, ein ganzer Schinken, Obst und Gemüse - waren dann jeweils auf dem Küchentisch zusammengetragen, und dabei lag ein getippter Zettel mit dem einzigen Wort BESEITIGEN. Es mußte mit seinem Abscheu vor Hundekot zu tun haben, stellte sich Irma vor. Mit mythischer Schlichtheit ging sie davon aus, daß der Doktor unter einer Beseitigungsmanie litt. Sie hatte keine Ahnung. Selbst beim morgendlichen und abendlichen Joggen hatte Dr. Zajac einen Lacrosseschläger, einen für Erwachsene, bei sich, den er hielt, als führe er einen imaginären Ball.
    Im Hause Zajac gab es viele Lacrosseschläger. Zusätzlich zu Rudys, der eher nach Spielzeug aussah, gab es zahlreiche Schläger in Erwachsenengröße und unterschiedlichen Graden von Abnutzung und Kaputtheit. Es gab sogar einen ramponierten Holzschläger, der aus der Zeit des Doktors in Deerfield stammte. Wegen seiner gerissenen und neu geknüpften Rohlederschnüre wie eine Waffe anmutend, war er mit schmutzigem Klebeband umwickelt und dreckverkrustet. Doch in Dr. Zajacs geschickten Händen durchbebte den Schläger die nervöse Energie seiner bewegten Jugend, in der der neurasthenische Handchirurg ein untergewichtiger, aber überaus fähiger Mittelfeldspieler gewesen war. Wenn der Doktor an den Ufern des Charles River entlangjoggte, vermittelte der altmodische Lacrosseschläger aus Holz die gleiche Wirkung wie das im Anschlag gehaltene Gewehr eines Soldaten. Mehr als ein Ruderer in Cambridge hatte es schon erlebt, wie ein, zwei Hundehaufen über sein Bootsheck sausten, und einer von Zajacs Medizinstudenten - ehedem Steuermann eines Harvard-Achters - behauptete, er hätte gerade noch einem auf seinen Kopf gezielten Hundehaufen ausweichen können. Dr. Zajac bestritt, daß er den Steuermann habe treffen wollen. Er verfolgte lediglich das Ziel, den Memorial Drive von einem deutlichen Übermaß an Hundekot zu befreien, den er mit seinem Lacrosseschläger lüpfte und in den Charles River schleuderte. Doch der ehemalige Steuermann und Medizinstudent hatte nach ihrer ersten denkwürdigen Begegnung nach dem verrückten Mittelfeldspieler Ausschau gehalten, und es gab andere Ruderer und Steuerleute, die schworen, sie hätten gesehen, wie Zajac mit seinem alten Lacrosseschläger gekonnt einen Hundehaufen aufnahm und ihn auf sie schoß.
    Belegt ist, daß der frühere Mittelfeldspieler von Deerfield zwei Tore gegen ein zuvor ungeschlagenes Team aus Andover und zweimal je drei Tore gegen Exeter erzielte. (Zwar erinnerte sich von Zajacs Mannschaftskameraden keiner an ihn, wohl aber so mancher seiner Gegner. Der Torwart von Exeter sagte es am treffendsten: »Nick Zajac hatte einen richtig fiesen Schuß.«)
    Dr. Zajacs Kollegen bei Schatzman, Gingeleskie, Mengerink & Partner hatten ihn außerdem darüber lästern hören, »wie absolut lächerlich es ist, einen Sport zu betreiben, bei dem man nach hinten schaut«, womit er seine Verachtung für Ruderer dokumentiert hatte. Na und? Ist exzentrisches Verhalten bei Erfolgsmenschen nicht ziemlich verbreitet? Das Haus in der Brattle Street tönte von Singvögeln wider wie ein bewaldetes Tal. Die Erkerfenster des Speisezimmers waren mit großen schwarzen X besprayt, um zu verhindern, daß Vögel dagegen prallten. Dadurch sah Dr. Zajacs

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