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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Heim ständig so aus, als wäre es von Vandalen heimgesucht worden. Ein Zaunkönig mit einem gebrochenen Flügel erholte sich in seinem eigenen Käfig in der Küche, wo erst vor kurzem - zu Irmas wachsendem Kummer - ein Seidenschwanz mit gebrochenem Hals gestorben war.
    Das Vogelfutter zusammenzufegen, das unter den Käfigen der Singvögel verstreut lag, gehörte zu Irmas niemals endenden Arbeiten; trotz ihrer Bemühungen wäre das Haus wegen des ständigen Knirschens von Vogelfutter unter den Füßen für Einbrecher eine schlechte Wahl gewesen.
    Rudy allerdings mochte die Vögel - die Mutter des unterernährten Jungen hatte sich bislang geweigert, ihm irgendein Haustier zu besorgen -, und Zajac hätte auch in einer Voliere gewohnt, wenn er der Meinung gewesen wäre, daß es Rudy glücklich machen oder ihn zum Essen bewegen könnte.
    Aber Hildred war, was das Quälen ihres Exmannes anging, von einer derart beharrlichen Niedertracht, daß es ihr noch nicht genügte, seine Zeit mit dem Sohn auf bloße zwei Tage und drei Nächte pro Monat reduziert zu haben. Schließlich meinte sie, auf eine Methode gekommen zu sein, wie sie ihnen das Zusammensein noch mehr vermiesen könnte, und schenkte Rudy einen Hund.
    »Halten mußt du ihn aber bei deinem Vater«, sagte sie dem Sechsjährigen. »Hier kann er nicht bleiben.«
    Der Köter, der aus irgendeinem Tierheim kam, wurde beschönigend als »Labradormischling« bezeichnet. Ob das Schwarze vom Labrador kam, fragte sich Zajac. Bei dem Tier handelte es sich um eine etwa zwei Jahre alte, sterilisierte Hündin mit ängstlichem Memmengesicht und einem Körper, der gedrungener und massiger war als der eines Labradors. Die Art und Weise, wie ihre schlaffen oberen Lefzen ihr über den Unterkiefer hingen, hatte etwas Jagdhundhaftes; ihre Stirn war eher braun als schwarz und von einem ständigen Runzeln gefurcht. Der Hund ging, während sein kräftiger Schwanz wie der eines Vorstehhundes zuckte, mit der Schnauze am Boden und trat sich dabei häufig selbst auf die Ohren. (Hildred hatte ihn in der Hoffnung gekauft, daß es sich bei dem ausgesetzten Tier um einen Hühnerhund handelte.)
    »Medea wird eingeschläfert, wenn wir sie nicht behalten, Dad«, sagte Rudy ernst zu seinem Vater. »Medea«, wiederholte Zajac.
    Veterinärmedizinisch gesehen, litt Medea unter »Pantophagie«; sie fraß Stöcke, Schuhe, Steine, Papier, Metall, Plastik, Tennisbälle, Kinderspielzeug und ihren eigenen Kot. (Ihre sogenannte Pantophagie war eindeutig ein Mischlingsverhalten.) Der Eifer, mit dem sie Hundescheiße, und zwar nicht nur ihre eigene, fraß, war der Grund dafür, daß ihre frühere Familie sie verstoßen hatte.
    Indem Hildred einen todgeweihten Hund mit Gewohnheiten auftrieb, von denen anzunehmen war, daß sie ihren Exmann wahnsinnig oder wahnsinniger machten, hatte sie sich selbst übertroffen. Daß Medea nach einer Zauberin der griechischen Mythologie benannt war, die ihre eigenen Kinder umgebracht hatte, paßte fast zu gut. Hätte die gefräßige Mischlingshündin Junge gehabt, hätte sie sie gefressen. Welch ein Horror für Hildred, feststellen zu müssen, daß Dr. Zajac den Hund liebte! Medea suchte ebenso eifrig nach Hundescheiße wie er - sie waren verwandte Seelen -, und nun hatte Rudy einen Hund, mit dem er spielen konnte, weshalb er seinen Vater um so lieber besuchte.
    Dr. Nicholas M. Zajac mochte Handchirurg für Stars sein, aber er war in erster Linie ein geschiedener Vater. Daß Dr. Zajacs Liebe zu seinem Sohn Irma tief bewegte, war zunächst ihre Tragödie, dann ihr Triumph. Ihr eigener Vater hatte ihre Mutter schon vor Irmas Geburt verlassen und sich nicht die Mühe gemacht, eine Beziehung zu ihr oder zu ihren Schwestern anzuknüpfen.
    Eines Montagmorgens, nachdem Rudy zu seiner Mutter zurückgekehrt war, begann Irma ihren Arbeitstag in der Absicht, das Zimmer des Jungen sauberzumachen. In den drei Wochen seiner Abwesenheit wurde das Zimmer des Sechsjährigen in Ordnung gehalten wie ein Schrein; es war praktisch auch ein Schrein, und man sah Zajac häufig voller Andacht darin sitzen. Auch den morosen Hund zog es in Rudys Zimmer. Medea schien Rudy ebenso sehr zu vermissen wie Zajac. An diesem Vormittag allerdings fand Irma zu ihrer Überraschung Dr. Zajac dabei vor, wie er nackt im Bett seines abgereisten Sohnes schlief. Die Beine des Doktors hingen über das Fußende, und er hatte die Bettdecke weggeschleudert; die Hitze des knapp dreißig Kilo schweren Hundes reichte zweifellos aus.

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