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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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eindrangen. Auch Gabriel erschien, um sich zu erkundigen. Iskuhi fiel es trotz des betäubenden Treibens auf, wie verfallen und blaß sein bärtiges Gesicht seit gestern war. Sie wunderte sich auch darüber, daß Juliette kaum eine halbe Stunde bei Howsannah blieb, da man doch so lange schon wie eine Familie miteinander hauste. Aram, der Gatte, tauchte alle zehn Minuten einmal auf, lief aber sogleich wieder davon. Er behauptete, daß er unabkömmlicher sei als je, damit nach dem gestrigen Siege und dem Abzug der Türken keine schlaffe Beruhigung unter den Diensthabenden einreiße. In Wahrheit aber jagten ihn Erregung und Sorge um sein Weib im Kreise umher. Der gute Vater Tomasian folgte seinem Sohne von fern auf den verschlungenen Irrwegen, damit der Pastor für seine Überreiztheit einen Blitzableiter habe. In freudiger Erwartung eines Stammhalters hatte der Baumeister seinen schwarzen Sonntagsrock angetan. Die goldene Uhrkette lag noch immer waagrecht auf seinem Bauch, der unter der mageren Fleischkost nicht gelitten hatte. Jeder Freund brachte irgend ein Geschenk oder Hausmittel, Apotheker Krikor zum Beispiel ein Fläschchen mit Wacholderessenz eigener Erzeugung, um Herz und Nerven zu stärken. Doch dies war eine sehr harmlose Gabe, denkt man an das Hahnen-Ei. Als die Sache kein Ende nehmen wollte und die ergebnislosen Wehen sich immer von neuem wiederholten, erschien plötzlich eine alte Frau, die ein überlebensgroßes Ei in der Hand hielt und behauptete, dieses Ei habe bei Neumond ein Hahn gelegt. Wenn eine Schwergebärende dieses Naturprodukt roh und mit der Schale zu sich nehme, sei das Kind im Handumdrehen heraußen. Mairik Antaram, die mit den Leuten weit besser umzugehen verstand als ihr Gatte, dankte dem alten Weibe für das Ei-Ungeheuer, versprach sofortige Befolgung ihres Ratschlags und schob sie hinaus. Die Frauen des Volkes mißbilligten es, daß Howsannah Tomasian während ihrer Leiden keinen Schmerzlaut mehr von sich gab. Sie witterten irgend einen Hochmut dahinter. Und es war auch, wenn man will, ein Hochmut der Scham. Längst waren Nunik, Wartuk, Manuschak wieder auf dem Plan erschienen. Nunik selbst hockte im Zelte und betrachtete die Mühewaltung Antarams mit nachsichtig belustigten Fach-Augen, wie etwa ein weltberühmter Chirurg die Arbeit eines Dorfbaders betrachten würde.
    Nach mehr als achtstündigen Qualen gebar Howsannah endlich einen Knaben. Das Kind, das schon im Mutterleibe seit Zeitun soviel Angst und Elend durchlitten hatte, war bewußtlos und atmete nicht. Antaram schüttelte den winzigen Körper, der noch voll Blut und Pech war, während Iskuhi in seinen Mund hauchen mußte. Nunik aber und ihre Kolleginnen, die besser Bescheid wußten, raubten blitzschnell die Nachgeburt, steckten sieben Nähnadeln aus dem Besitz sieben verschiedener Familien hinein und warfen das Ganze ins Feuer. Das Leben, das sich in den leblosen Teil geflüchtet hatte, um seinem Erdengeschick zu entgehen, durch das Feuer wurde es frei. Einige Sekunden später begann das Kind zu schlucken, dann zu atmen, dann zu wimmern. Mairik Antaram reinigte es vorsichtig mit Hammelfett. Die stillgewordene Menge begann Beifall zu rufen. Die Sonne ging unter. Pastor Aram ergriff mit dem ungeschickten und etwas lächerlichen Stolz des jungen Vaters das runzlige Lebewesen, das ein Mensch werden sollte, und hielt es den Leuten hin. Alle freuten sich und lobten Tomasian, weil es ein männliches Kind war. Rauhe Scherzworte machten unter den anwesenden Schützen die Runde. Keiner dachte an die wirkliche Zukunft. Es ist ungewiß, wer als erster jenes kleine rundliche Feuermal bemerkte, das dieser echte Sohn des Musa Dagh über seinem kleinen Herzen trug. Die Frauen rieten über die Bedeutung des Zeichens hin und her. Nunik, Wartuk, Manuschak aber, die von Berufs wegen die Enträtselung solcher Chiffren verstehen mußten, äußerten nichts, banden ihre Schleier um, nahmen ihre Stöcke zur Hand und machten sich reichbeschenkt auf den Rückweg. Weit griffen ihre braunen Greisenbeine aus. Und wiederum glichen sie irgend welchen Masken des antiken Chors, wie sie im aufsteigenden Mond zu den Gräbern der Vergangenheit hinabwanderten.
     
    Nicht mehr als drei Tage und drei Nächte waren hingegangen, da meldeten die Beobachter allerlei unverständliche Bewegungen in den Dörfern.
    Gabriel Bagradian bezog sofort einen Späherposten. Und wirklich, im Ausschnitt des Zeißglases zeigte sich lebhaftes Gewimmel in scharf unterschiedenen Gestalten.

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