Die Violine des Teufels
schrieb seinem Freund Fétis einen Brief, um die Geschichte zu widerlegen. In Paris ging das Gerücht, der Geiger hätte einst entweder seinen Nebenbuhler oder seine Geliebte ermordet und sei daraufhin für acht Jahre ins Gefängnis gewandert. Paganini verteidigte sich mit dem Argument, dass er seit dem vierzehnten Lebensjahr ununterbrochen Konzerte gebe und sechzehn Jahre lang Kapellmeister am Hof von Lucca gewesen sei. Wenn es gestimmt hätte, dass er eine Haftstrafe von acht Jahren hatte absitzen müssen, dann hätte das gezwungenermaßen geschehen müssen, bevor er einem großen Publikum bekannt wurde. Das heißt, Paganini hätte seinen Nebenbuhler oder seine Geliebte im Alter von sechs Jahren umbringen müssen!«
Am anderen Ende der Leitung herrschte völliges Schweigen, und Lupot dachte schon, sein Gesprächspartner habe aufgelegt, doch da sagte Carlos: »Entschuldige, Arsène. Ich habe unten Geräusche gehört. Da kommt jemand.«
»Vielleicht deine Eltern, die vom Konzert zurück sind?«
»Kann nicht sein, die Vorstellung im Auditorio Nacional beginnt immer um halb acht. Es ist noch zu früh.«
»Wenn du nachsehen willst, wer es ist, warte ich gerne.«
»Papa? Mama? Seid ihr das?«, rief Carlos und entfernte den Hörer ein Stück vom Ohr. Dann rief er in einem Ton, der Lupot das Blut in den Adern gefrieren ließ: »Mensch, Papa, warum siehst du mich so an? Was ist los?«
»Gerade eben ist Ane Larrazábal im Auditorio Nacional ermordet worden. Das ist los.«
6
A ls Perdomo hörte, dass Alfonso Arjona etwaige Polizisten im Publikum zu sich bat, war seine erste Vermutung, Larrazábals Geige sei gestohlen worden. Der Inspector wusste nicht, ob es sich um eine Stradivari oder um eine Guarneri handelte, doch aus beruflichen Gründen – in den vergangenen Jahren waren mehrere aufsehenerregende Diebstähle verübt worden – war er darüber auf dem Laufenden, welche exorbitanten Preise die legendären, im siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert in Cremona gebauten Geigen der großen Solisten auf dem Markt erzielen konnten.
»Ich sehe mal nach, was passiert ist. Du kommst mit, denn ich möchte dich nicht allein lassen«, sagte er zu Gregorio. »Aber tu oder sag nichts ohne meine Erlaubnis, verstanden?«
»Du kannst dich auf mich verlassen, Papa«, antwortete der Junge mit weit aufgerissenen Augen, hellauf begeistert von der Aussicht, seinem Vater bei Ermittlungen über die Schulter sehen zu dürfen.
Perdomo nahm ihn an der Hand und ging langsam gegen den Strom – denn das Publikum verließ, verärgert über die Geheimnistuerei, den Saal – auf die um gut eineinhalb Meter erhöhte Bühne zu. Er sah, dass man über zwei Treppen an den Seiten hinaufgelangte, und entschied sich für die linke. Dann verließ er zusammen mit Gregorio den Konzertsaal durch eine der Seitentüren.
Das Auditorio verfügte über zwei Garderoben für Dirigenten, vier für Solisten und zwei Gemeinschaftsgarderoben für die Mitglieder des Orchesters – eine für die Männer und eine für die Frauen. Der lange, weiträumige Korridor, durch den man zu diesen Räumen gelangte, war mit Fotografien – zumeist in Schwarz-Weiß – der großen Künstler dekoriert, die seit der Einweihung des Konzerthauses im Oktober 1988 hier gastiert hatten. Dabei handelte es sich fast ausschließlich um sehr berühmte Persönlichkeiten, aber Perdomo erkannte nur den Tenor Alfredo Kraus.
Auf dem Korridor wimmelte es von Musikern, die meisten mit dem Handy am Ohr. Den Gesprächsfetzen entnahm Perdomo rasch den wahren Grund für den Abbruch des Konzerts: Ane Larrazábal war ermordet worden, hier in diesem Gebäude.
Der Polizist holte seine Dienstmarke hervor und zeigte sie der ersten Person, die ihm über den Weg lief, wie sich herausstellte, eine der Posaunistinnen des Orchesters, Elena Calderón. Die Musikerin war hochgewachsen und hatte eine athletische Figur. Die pechschwarzen Haare trug sie sehr kurz und mit einem Pony. Ihr strahlender Blick erinnerte Perdomo sofort an Liza Minelli in deren besten Zeiten.
Eine Minelli von beinahe einem Meter fünfundsiebzig allerdings.
»Ich bin Kriminalpolizist«, erklärte er der jungen Frau. »Wenn ich recht verstehe, ist jemand getötet worden. Könnten Sie mich zur Leiche führen?«
Die Frau betrachtete zunächst die Dienstmarke und sah dann Gregorio an, der ein wenig hinter seinem Vater zurückgeblieben war. »Wer ist das Kind?«
»Das ist mein Sohn. Wir haben gemeinsam das Konzert besucht.«
»Die
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