Die Violine des Teufels
aus dem Wagen zu bugsieren, doch als er dann auf die Uhr sah, blieben nur noch vierzig Minuten bis zum Abflug von Rescaglios Maschine. Der Italiener hatte das Rennen gewonnen.
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D as gemeinhin einfach T4 genannte Terminal vier des Flughafens Barajas ist in den letzten Jahren aus zwei gewichtigen, aber sehr unterschiedlichen Gründen zu internationaler Berühmtheit gelangt. Zum einen scheint es vom Pech verfolgt zu sein: Zuerst gelang es der ETA Ende 2006, zweihundert Kilogramm Sprengstoff dort zu deponieren – bei dem Anschlag starben zwei Ecuadorianer –, und in jüngerer Vergangenheit war das Terminal Schauplatz einer der größten Luftfahrttragödien des 21. Jahrhunderts, bei der mehr als einhundertfünfzig Personen, die in einer MD-82 zu den Kanarischen Inseln reisen wollten, ums Leben kamen. Zum anderen überzeugt das Terminal jedoch durch seine Architektur: Das T4 faszinierte Perdomo trotz der erwähnten traurigen Vorfälle, seit es im Februar 2006 in einer feierlichen Zeremonie durch den Ministerpräsidenten eingeweiht worden war. Vor kurzem hatte Perdomo ein Interview mit einem der Architekten des Terminals, Richard Rogers, gehört. Auf die Frage, auf welche drei Werke er am stolzesten sei, hatte Rogers das Haus seiner Eltern in Wimbledon, das Centre Georges Pompidou in Paris und das T4 von Madrid-Barajas genannt, das er als eine Art Synthese aus den beiden erstgenannten Gebäuden sah.
Perdomo erreichte das Terminal um fünfzehn Uhr zwanzig. Unterwegs hatte er nochmals bei der AENA angerufen, und dort hatte man ihm mitgeteilt, dass der Iberia-Flug 3250 mit Ziel Amsterdam keine Verspätung haben werde. Insofern konnten Rescaglio und sein Sohn das Flugzeug bereits bestiegen haben oder sich sogar schon auf der Startbahn befinden. Da hätte eine Flugverspätung einmal jemandem nutzen können, und ausgerechnet dann musste dieser Flug geradezu ekelhaft pünktlich sein!
Perdomo stellte seinen Wagen in der Spur für den Ein- und Ausstieg von Reisenden ab, ohne ihn als Polizeiwagen zu kennzeichnen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Da es inzwischen praktisch unmöglich war, seinen Sohn noch aus den Fängen des Entführers zu befreien, kam Perdomo zu dem Schluss, dass seine Mission nun darin bestand, sich zu vergewissern, dass Gregorio heil und gesund war und ohne Zwischenfälle das Flugzeug bestieg, das ihn nach Amsterdam bringen würde.
Im Inneren des Terminals war Andrea Rescaglio unterdessen bereits mit Gregorio und seinem Cello durch die Passkontrolle gegangen. Für das Cello hatte er ein separates Flugticket erworben, denn der Cellokoffer war zwar sehr widerstandsfähig, aber Rescaglio wollte nicht das Risiko eingehen, dass er bei der brutalen Behandlung, die das Gepäck auf Flughäfen erfährt, nicht doch beschädigt würde. Er trug den protzigen Cellokoffer mit einem Geschirr auf den Rücken geschnallt, nicht nur, weil der Koffer so leichter zu transportieren war, sondern auch, weil er dadurch beide Hände frei hatte: eine für das Handy, mit dem er, wie er Gregorio gedroht hatte, Renzo beauftragen würde, Perdomo zu töten, sollte der Junge auch nur eine verdächtige Bewegung machen; die andere für den Geigenkasten mit der Stradivari Pasini, der sagenhaften Geige, die, seitdem Paolo, der Messdiener, sie Paganini 1840 gestohlen hatte, allen ihren Besitzern Unglück gebracht hatte, bis hin zu Rescaglios Verlobter Ane Larrazábal.
Da Rescaglios und Gregorios unmittelbares Ziel in einem Land des Schengen-Raums lag, mussten sie hinab auf Ebene eins zum Gate J40 im südlichen Dock des T4.
Und genau in diesem Moment spielten Rescaglio seine geliebten Crocs einen üblen Streich.
Diese Schuhe waren zwar außerordentlich bequem, aber offenbar auch gefährlich: Mittlerweile sah der Hersteller sich mit Klagen von Menschen konfrontiert, die auf Flughäfen, Bahnhöfen oder in Einkaufszentren überall auf der Welt mit den Schuhen in Rolltreppen hängen geblieben waren. Je kleiner der Fuß, desto größer die Gefahr – und Rescaglio hatte sehr kleine Füße.
Als er nun am unteren Ende der Rolltreppe ankam, wollte er den linken Fuß heben, doch der Croc schien sich regelrecht mit dem Metall verzahnt zu haben – die Stahlzähne der Rolltreppe fraßen sich in den grünen Gummischuh und rissen Rescaglio dabei einen Teil der Kuppe seines großen Zehs ab, der sofort stark zu bluten begann.
Das war Gregorios Chance: Er riss seinem Entführer das Handy aus der Hand und befreite sich zugleich von ihm.
Doch
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