Die Violine des Teufels
das glaubte er jedenfalls.
»Ich kenne diese Geige besser als jeder andere, und sobald ich sie sah, wusste ich, dass es die von Ginette Neveu war«, urteilte der alte Geigenbauer.
Lupot hielt es für wahrscheinlich, dass Bernardel Teile der Geschichte erfunden oder sie zumindest ausgeschmückt hatte, um sie interessanter zu machen. Vielleicht wollte der ehrwürdige alte Herr, der einst glorreiche Zeiten erlebt hatte, auf diesem Wege erneut die Aufmerksamkeit der anderen erregen. Vielleicht war das Ganze aber auch nur seinem fortgeschrittenen Alter geschuldet.
Wenn Bernardels Geschichte nun aber doch nicht erfunden und Larrazábals Stradivari tatsächlich die von Ginette Neveu war? Und wenn jemand anderes, der sich als den rechtmäßigen Erben der Violine betrachtete, ebenfalls die Übertragung des Konzerts gesehen, das Instrument erkannt und daraufhin beschlossen hatte, es um jeden Preis in seinen Besitz zu bringen?
Das könnte auch erklären, warum die Spanierin die Schnecke hatte umgestalten lassen – so wäre sie nicht so einfach zu erkennen. In diesem Fall hätte er selbst, dachte Lupot, ungewollt wie einer dieser plastischen Chirurgen von zweifelhaftem Ruf gehandelt, die das Aussehen eines von der Polizei gesuchten Kriminellen verändern. Daraufhin fiel Lupot auch wieder ein, dass Ane Larrazábal, als sie wegen des Teufelskopfs zu ihm gekommen war, erklärt hatte, sie verfolge damit zwei Ziele: Zum einen wolle sie – wie seinerzeit der von ihr bewunderte Paganini – die Legende nähren, ihre elektrisierende Spielweise verdanke sich einem übernatürlichen Pakt; zum anderen aber wolle sie ihre Konkurrenten, insbesondere ihre größte Rivalin, die Japanerin Suntori Goto, einschüchtern, denn sie halte jedes Mittel für gerechtfertigt, das es ihr ermögliche, in einer so umkämpften Welt wie der der Konzertsäle zu überleben.
»Bist du noch da?«, fragte Clemente, der den Grund von Lupots langem Schweigen am anderen Ende der Leitung ja nicht kannte.
»Ja. Ich habe über deinen Vorschlag nachgedacht, dass ich zur Polizei gehen soll. Ich will das nicht ausschließen, aber ich möchte mich erst entscheiden, wenn ich in Spanien bin und mit euch ein gutes Glas Ribera del Duero getrunken habe.«
»Gute Idee. Zuerst sollten wir ohnehin abwarten, wie die Ermittlungen laufen. Womöglich fassen sie schon morgen den Schuldigen, und es stellt sich heraus, dass er die Geige im Kofferraum seines Autos hat.«
»Weißt du was? Als ich Ane Larrazábal fragte, wie sie auf dieses Motiv gekommen sei und woher sie das Foto habe, da war sie auf einmal sehr zurückhaltend und wollte es mir nicht sagen.«
»Denkst du dasselbe wie ich?«
»Ich glaube nicht an das Übernatürliche, du kennst mich doch.«
»Jetzt spiel hier nicht den Rationalisten und Cartesianer. Gib zumindest zu, dass es Dinge gibt, die Unglück bringen. Und wenn es stimmt, dass es sich um Ginette Neveus Instrument handelt, dann muss man doch zu dem Schluss kommen, dass diese Geige nicht normal ist.«
»Ich weigere mich, das zu akzeptieren.«
»Arsène, die Stradivari hätte in diesem Fall zwei weltberühmte Besitzerinnen gehabt: Neveu und Larrazábal. Beide Frauen sind eines gewaltsamen Todes gestorben. Das kann kein Zufall sein.«
»Einer der Todesfälle war ein Unfall. Und warum sollte es zwischen beiden eine Verbindung geben?«
»Wer sagt denn, dass das bei den Azoren ein Unfall war?«
»Worauf willst du hinaus? Du machst mich nervös.«
Lupot merkte, dass ihn schauderte. Aber nicht etwa, weil das Gespräch ihm Furcht einflößte, sondern weil die Temperatur in dem Raum, in dem er das Telefonat führte, in der letzten halben Stunde um mehrere Grad gefallen war. Er trank einen Schluck Armagnac, um sich wieder aufzuwärmen, und sagte: »Ich muss jetzt Schluss machen. Hier in der Werkstatt herrscht allmählich eine Hundekälte.«
»Warte. Weißt du, dass manche Fachleute behaupten, die Azoren seien ein Teil des Bermudadreiecks?«
»Ich verabscheue diese Sorte Aberglauben. Ich lege jetzt auf.«
»Schick mich ruhig zum Teufel, aber hör dir vorher an, was ich dir sagen möchte. Ich bin weder geistig minderbemittelt noch geisteskrank. Ich habe nie an Okkultismus oder Nekromantie geglaubt. Trotzdem erkenne ich an, dass es Phänomene gibt, die keine wissenschaftliche oder rationale Erklärung zulassen: der Fluch der Kennedys, zum Beispiel, oder die seltsamen Unfälle, die sich während und nach den Dreharbeiten zu dem Film Der Exorzist ereigneten.
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