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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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der Aufmerksamkeit zu stehen. Eine der ersten Geigerinnen musste unwillkürlich lachen, was dem Dirigenten nicht entging.
    »Falls ich etwas Lustiges gesagt habe, weisen Sie uns doch bitte laut darauf hin, damit wir alle etwas zu lachen haben.«
    Beschämt senkte die Musikerin den Kopf. Lledó warf ihr noch einen vernichtenden Blick zu und wandte sich dann an den Rest des Orchesters.
    »Meine Herren, wir spielen hier Paganini, nicht Boccherini. Neunzehntes Jahrhundert, nicht achtzehntes. Ich möchte nicht, dass die Musik wie ein Menuett klingt, sie darf nicht galant, feierlich oder gesittet klingen. Pizzicato bedeutet nicht, zaghaft zu zupfen, sondern energisch. Ich will, dass die Töne voll klingen, herausfordernd. Die Kontrabässe sollen brausen wie der Sturmwind!«
    Der Konzertmeister bat ums Wort, und Lledó erteilte es ihm.
    »Maestro, meinen Sie nicht, wenn wir die Begleitung forte spielen, dass dann der Einsatz des Solisten viel weniger wirkungsvoll ist? Zudem bezweifle ich, dass er dann noch zu hören ist.«
    Der Dirigent lächelte gönnerhaft.
    »Der Solist hat genügend Gelegenheit zu glänzen, wenn die Kunststückchen dran sind«, sagte er, als befände der fragliche Musiker sich nicht im selben Raum. »Auch wenn der Hexentanz als ›Variationen für Violine und Orchester‹ bezeichnet wird, ist er ein Konzert. Und Konzert kommt von concertare, also kämpfen. Das ist hier ein Krieg, und im Krieg gewinnt der Stärkere.«
    Ein Assistent trat ans Dirigentenpult und machte Lledó auf die Ankunft des Polizisten aufmerksam. Daraufhin wandte dieser sich an Perdomo, ohne auch nur vom Podium herabzusteigen.
    »Ich habe hier noch eine Weile zu tun, Inspector. Sehen Sie sich doch ein bisschen um, und nachher treffen wir uns direkt in meinem Büro. Es lenkt meine Musiker furchtbar ab, wenn Fremde bei der Probe im Parkett herumsitzen.«
    Perdomo hielt zustimmend den Daumen hoch, verließ den Konzertsaal und hatte dabei das Gefühl, dass sich ihm Dutzende fragende Blicke in den Nacken bohrten.

27
    E r beschloss, den Besuch im Auditorio zu nutzen und noch einmal den Chorsaal zu besichtigen. Den Ort des Geschehens nochmals aufzusuchen, löste bei ihm erwiesenermaßen häufig interessante Gedankengänge aus oder ließ aus seinem Unterbewusstsein irgendeine schlummernde Idee aufsteigen, die sich rasch in eine neue Ermittlungsrichtung verwandeln konnte.
    Eine der Fragen, die ihm keine Ruhe ließen, war die, wie der Mörder die Geige trotz der strikten polizeilichen Absperrung hatte aus dem Gebäude schmuggeln können. Falls er wirklich gerissen wäre, hätte er dann nicht versucht, das kostbare Instrument zunächst im Chorsaal zu verstecken, um es später bequem holen zu können, wenn die Absperrung aufgehoben war? Schließlich waren Geigen nicht allzu groß, man konnte sie fast überall verbergen.
    Perdomo wusste nicht mehr genau, wie man zum Chorsaal kam, daher wandte er sich an einen der Wachmänner, und dieser bot ihm an, ihn hinzuführen. Allerdings müsse er zunächst noch ein Problem mit einer der Kameras lösen. Er schlug Perdomo vor, sich solange in einen der bequemen Sessel zu setzen. In fünf Minuten sei er wieder bei ihm.
    Der Inspector folgte dem Rat des Wachmanns und machte es sich in einem der Sessel gemütlich. Dann warf er einen Blick nach rechts, in einen langen Korridor, der im Halbdunkel lag; das Ende des Korridors konnte er kaum erkennen. Ihm fiel auf, dass irgendwoher kalte Luft zu ihm gelangte, woraus er schloss, dass nicht allzu weit entfernt eine der Türen zur Straße offen stand. Aus einem seltsamen Impuls heraus ging Perdomo in die Richtung, aus der der Luftzug kam, und nach kurzer Zeit hörte er ein unangenehmes metallisches Geräusch, als zerrte jemand einen schweren Gegenstand über den Boden. Gleich darauf trat aus einer der Türen, die diesen unendlich langen Gang säumten, eine beunruhigende Gestalt, eine zierliche Frau, die ihm nervös vorkam, und er meinte, in ihr das Medium Milagros Ordóñez zu erkennen. Ehe er ihr jedoch etwas zurufen konnte, sah er, dass sie ihn bereits bemerkt hatte, denn sie drehte ihm das Gesicht zu – und da wünschte Perdomo, sie würde ihn nicht ansehen.
    Aussehen und Kleidung glichen denen von Ordóñez, doch die Augen waren eindeutig die seiner verstorbenen Frau – allerdings hatten sie ihre natürliche Farbe verloren. Sie waren grauenhaft gelb und leuchteten förmlich in dem leichenhaften, runzligen Gesicht, das aussah wie das eines Menschen, der lange im

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