Die Violine des Teufels
Wasser gelegen hatte.
Perdomo musste daran denken, wie er ans Rote Meer gereist war, um die Leiche seiner Frau nach Hause zu überführen. Der örtliche Gerichtsmediziner hatte ihn gewarnt, das Gesicht seiner Frau sei kein schöner Anblick, daher hatte Perdomo die Freundin, die seine Frau auf ihrer Reise begleitet hatte, gebeten, die Identifizierung vorzunehmen.
Unvermittelt wollte er einen Namen brüllen – er wusste nicht einmal, ob den des Mediums oder den seiner ertrunkenen Frau –, aber der entsetzliche Anblick dieser Gestalt hatte ihm buchstäblich den Atem genommen. Er brachte kein Wort heraus. Er wollte zurückweichen, sich so schnell wie möglich von diesem schrecklichen Geschöpf entfernen, das ihn unerbittlich von der Mitte des Korridors her ansah, doch er hatte Angst; und er fürchtete, dieses Wesen könne es bemerken und das tun, wovor er am meisten Angst hatte: auf ihn zukommen. Als die Gestalt sah, dass Perdomo ihr ins Gesicht blickte und keinen Zentimeter zurückwich, entfernte sie sich langsam von ihm, und dieser Anblick ließ ihm erst recht das Blut in den Adern gefrieren: Sie schien eher über den Boden zu gleiten, als zu gehen. Wie angewurzelt stand er da, bis er hörte, wie sich eine Tür schloss, und sofort war von dem eisigen Luftzug nichts mehr zu spüren.
»Ich wäre dann so weit, Inspector.« Die Stimme des Wachmanns weckte Perdomo aus seinem entsetzlichen Alptraum, doch er war noch völlig benommen und benötigte einen Moment, um sich zu fassen.
Während er einen Meter hinter dem Wachmann herging, blickte er nach links und rechts, als fürchtete er, das Geschöpf aus seinem Traum könne jeden Augenblick wieder auftauchen. Als sie den Chorsaal erreichten, verließ der Wachmann ihn, um sich um seine Arbeit zu kümmern. Mit einem Taschenmesser schnitt Perdomo das Polizeisiegel durch und betrat dann erneut den Raum, in dem Ane Larrazábal ermordet worden war.
Der Saal hatte zur Straße hin keine Fenster und lag völlig im Dunkeln. Blind tastete Perdomo nach dem Lichtschalter. Halb fürchtete er, die schrecklichen gelblichen Augen aus seinem Alptraum könnten ihn im Dunkeln aus irgendeiner Ecke des Raums beobachten, doch nichts geschah. Als er den Schalter nach einer halben Ewigkeit, wie ihm schien, endlich fand und es hell wurde im Saal, war alles noch genau so, wie er es in Erinnerung hatte.
Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, um sich zu vergewissern, dass außer ihm tatsächlich niemand hier war, und ging dann langsam zum Flügel. Nachdem er ein Paar Latexhandschuhe übergestreift hatte, die er immer bei sich trug, wenn er im Dienst war, öffnete er die Tastenabdeckung. Obwohl er überhaupt keine Ahnung von Musik hatte, schlug er aufs Geratewohl einige Tasten an, und die Töne klangen geheimnisvoll durch den weiten Raum. Er bewegte die linke Hand bis zum tiefsten Ton und schlug die Taste an, ohne sie wieder loszulassen. Ein unheilverkündender, verstörender Ton erklang und war erst nach beinahe einer Minute vollständig verklungen.
Zwar war Perdomo davon überzeugt, dass die Spurensicherung den gesamten Saal gründlich untersucht hatte, doch plötzlich musste er an den Film Casablanca denken, in dem Bogart die Passierscheine im Inneren von Sams Klavier versteckt. Daher öffnete er den Deckel, um sich zu vergewissern, dass sich im Inneren nichts verbarg. Während er so den Flügel untersuchte, stieß eine Frauenhand die Saaltür, die Perdomo angelehnt gelassen hatte, vollends auf.
Die Frau ging langsam auf den Inspector zu, und als sie dicht hinter ihm stand, sagte sie laut: »Inspector Perdomo!«
Perdomo, der seinen Alptraum noch immer nicht ganz abgeschüttelt hatte, fuhr hoch und stieß sich den Kopf am Deckel des Flügels. Er drehte sich um und erblickte die Posaunistin Elena Calderón.
»Das tut mir leid«, sagte sie, als sie sah, wie sehr er sich erschreckt hatte. »Ich habe den Flügel gehört und wollte nachsehen, wer da spielt.«
Perdomo rieb sich den Kopf, um den Schmerz zu lindern. Elena Calderón stellte den schweren Posaunenkoffer ab und trat zu ihm, um sich seinen Kopf anzusehen.
Perdomo gefiel die Berührung ihrer Hände. Sie war nicht so zurechtgemacht wie bei ihrer ersten Begegnung, doch der diskrete Duft von Cristalle, den sie verströmte, verführte ihn sofort – es war das Parfüm, das auch seine Frau benutzt hatte.
»Sie haben eine hübsche Beule am Kopf, und sie wird noch größer. Fühlen Sie selbst.«
Elena nahm seine Hand und führte sie
Weitere Kostenlose Bücher