Die Violine des Teufels
soeben erzählt hatte.
Sie antwortete nicht. Mit gesenktem Kopf schien sie völlig in Gedanken versunken, bis Perdomo sie fragte, ob ihr irgendetwas Sorgen bereite.
»Ich musste nur an denjenigen – oder diejenigen – denken, der jetzt im Besitz der Geige ist. Sie scheinen sehr skeptisch zu sein, was die Existenz übernatürlicher Kräfte angeht, aber ich bin da anders. Ich frage mich, ob dem Dieb, also Anes Mörder, klar ist, dass er, ohne es zu wissen, mit dem Tod kokettiert, indem er mit diesem Instrument in Berührung gekommen ist.«
26
C armen Garraldes Aussage hatte Perdomo derartig aufgewühlt, dass er in dieser Nacht nur knapp eine Stunde schlief, dabei hatte er am nächsten Morgen eine Verabredung mit dem Chefdirigenten des Nationalorchesters, Joan Lledó. Wäre Vilches sein Partner gewesen, hätte er ihn mitgenommen, denn vier Augen sehen immer mehr als zwei, aber so angespannt, wie seine Beziehung zu Villanueva war, zog er es vor, die Befragung allein durchzuführen. Neben den unerlässlichen Fragen zum Tatabend – Lledó war eine der ersten drei Personen am Tatort gewesen – beabsichtigte der Inspector, ihn nach der seltsamen Partitur zu fragen, die in der Garderobe der Geigerin gefunden worden war, und seine Reaktion zu beobachten.
Zudem rechnete er fest damit, Elena Calderón wiederzusehen, doch zu seiner Enttäuschung konnte er die Posaunistin unter den Orchestermusikern nicht entdecken, obwohl sie mitten in einer Generalprobe waren.
Der Grund für ihre Abwesenheit war das Werk, das geprobt wurde: das von Paganini 1813 komponierte Le Streghe, welches aus Variationen für Violine und Streichorchester bestand.
Die Hauptmelodie stammt aus einem Ballett von Süßmayr, einem drittrangigen Musiker, der in die Geschichte eingegangen war, weil es ihm gelungen war, nach Mozarts Tod das berühmte Requiem zu vervollständigen. Über Süßmayrs heiterem, banalem Thema hatte Paganini ein komplexes Fachwerk von Variationen gewebt, gespickt mit technischen Schwierigkeiten: unglaubliche Harmonien, teuflische Pizzicati, Dreier- und sogar Vierer-Akkorde sowie schwindelerregende Saitenwechsel brachten den Interpreten derart in Bedrängnis, dass es hieß, dieses Werk habe zusammen mit dem berühmten Capriccio Nummer 24 die Legende vom Teufelspakt des sagenhaften Geigers begründet.
Perdomo setzte sich auf einen Platz etwa in der Mitte des Parketts und stellte sich darauf ein, so lange zuhören zu müssen, bis sich eine Gelegenheit ergab, Lledó anzusprechen, ohne die Musik zu unterbrechen.
Lledó hatte gerade abgebrochen und versuchte, den Musikern vom Podest aus mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, inklusive Vorsingen, begreiflich zu machen, wie der Beginn des Konzerts seiner Meinung nach klingen musste.
»Meine Herren«, begann er, »wir haben hier ein Orchestervorspiel von etwa einer Minute, das ganz akzeptabel klang, aber wenn der Solist einsetzt, dürfen wir nicht einbrechen. Wir müssen die ganze Zeit über zu hören sein. Einverstanden?«
Schweigend gab er mit dem Taktstock den Takt vor, und das Orchester spielte die feierliche Einleitung des Werkes. Tremoli der tiefen Streichinstrumente stellten dunkle, volltönende Sturmwolken dar, die nichts Gutes verhießen.
Als Perdomo schon glaubte, gleich müsse der musikalische Sturm losbrechen, begann das Orchester, rallentando zu spielen und verhielt dann schwerelos auf dem Dominantseptakkord. Dann setzte die Geige ein. Doch der Solist, ein kleiner Mann mit Schnurrbart, der völlig eingeschüchtert wirkte von der dominanten Persönlichkeit des Dirigenten, kam über den Beginn des Themas nicht hinaus, denn schon brach Lledó wieder ab.
»Gut, gut, gut«, urteilte er ironisch. Dann verzog er das Gesicht und rief: »Gut? Schlecht!«
Ohne Vorwarnung flog der Taktstock wie ein Pfeil aus einem Blasrohr über die Köpfe der Cellisten hinweg und landete in einem der F-Löcher des ersten Kontrabasses.
»Das begleitende Pizzicato klingt verzagt, gehemmt, zimperlich!«
Zur Verdeutlichung sang der Dirigent die Begleitfigur vor:
Pom, pa, pa, pa,
pom, pa, pa, pa …
Doch er tat es so affektiert und hochtrabend, dass die meisten Musiker es nur lächerlich zu finden schienen. Der Mann litt ganz offensichtlich unter einer Art histrionischer Persönlichkeitsstörung, denn sein Gebaren auf dem Podium war überzogen und theatralisch, als wäre er weniger an der Kommunikation mit den Musikern interessiert als vielmehr daran, um jeden Preis im Zentrum
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