Die Violine des Teufels
Dritten Reichs und lauschte in einem bombastischen, vom düsteren Hakenkreuzbanner beherrschten Saal einem Konzert. Doch auf dem zweiten Foto war er gut zu erkennen: Er begrüßte gerade einen Dirigenten, der sich von der Bühne herabbeugte, um ihm die Hand zu reichen.
Perdomo hatte nicht gemerkt, dass Lledó unterdessen sein Telefonat beendet hatte, und fuhr zusammen, als er plötzlich dicht hinter sich seine Stimme vernahm. Der Dirigent roch nach irgendeinem süßlichen Herrenparfüm, das Perdomo allerdings nicht kannte.
»Das ist Wilhelm Furtwängler«, erklärte Lledó, »einer der größten Orchesterdirigenten aller Zeiten. Als die Nazis an die Macht kamen, entschieden viele seiner Kollegen sich für das Exil. Er dagegen beschloss, in Deutschland zu bleiben, und musste deswegen den Alliierten gegenüber später ausführlichst Rechenschaft ablegen, als nach Ende des Krieges der Prozess der Entnazifizierung begann. Schauen Sie genau hin: Auf diesem hier sehen wir ihn beim letzten Satz von Beethovens Neunter Symphonie zu Hitlers Geburtstag. Auf dem anderen Foto beglückwünscht Hitler ihn bei Ende eines Konzerts mit dem Hitlergruß, aber Furtwängler reicht ihm die Hand und vermeidet so, den Hitlergruß zu erwidern. Was meinen Sie, welches ist das frühere Foto?«, fragte Lledó mit der boshaften Miene eines Lehrers, der einen ungezogenen Schüler um jeden Preis vorführen will.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich würde sagen, dieses hier.« Perdomo riskierte einen Tipp und zeigte auf das Foto von Hitlers Geburtstag.
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Einfach weil es mir älter vorkommt.«
»Die meisten Menschen, denen ich diese Frage stelle, wählen dasselbe Foto wie Sie, weil sie gerne glauben möchten, dass Furtwängler am Anfang das Spiel der Nazis mitspielte, sich aber später, als das Grauen in den Konzentrationslagern und der Genozid an den Juden allmählich offenbar wurden, von ihnen distanzierte und sich sogar weigerte, mit ›Heil Hitler‹ zu grüßen.«
»Aber so war es nicht?«
»Wir werden niemals völlig sicher wissen, was damals passiert ist. Wenn man nach diesen Fotos geht, scheint eher das Gegenteil passiert zu sein. Die Fotografie, auf der Furtwängler sich weigert, den rechten Arm zu heben, ist älter als die, auf der er wie ein gehorsames Lämmchen eingewilligt hat, zu spielen, um einem Ungeheuer mit Millionen von Opfern auf dem Gewissen zum Geburtstag zu gratulieren. Vielleicht hatte er geglaubt, er würde dem politischen Druck widerstehen können, würde in der Lage sein, das Regime von innen her zu bekämpfen. Falls das Thema Sie interessiert«, sagte Lledó und nahm ein Buch vom Tisch, wobei er einen Erdrutsch unter seinen Papieren auslöste, »dann empfehle ich Ihnen diese neue Furtwängler-Biografie mit dem Titel The Devil’s Music Master, also Des Teufels Kapellmeister .«
Perdomo versuchte gar nicht erst, seine Verblüffung über den Titel zu verbergen.
»Des … Teufels? «
»Hitler. Sie wissen doch sicher, dass es in der Geschichte der Menschheit niemanden gibt, der mehr mit dem Teufel assoziiert wird als der deutsche Diktator.«
»Glauben Sie wirklich, Hitler war eine Inkarnation des Teufels?«
»Das glauben jedenfalls die, die von diesen Dingen mehr verstehen als wir, Inspector: die Exorzisten des Vatikans. Pater Gabriele Amorth, der bekannteste von ihnen, hat noch vor kurzem gesagt, der Teufel existiere nicht nur, sondern sei auch in der Lage, von ganzen Völkern Besitz zu ergreifen. Er behauptet, die Nazis hätten deshalb so brutal und unmenschlich gehandelt, weil sie vom Teufel besessen gewesen seien. Logischerweise kam dann der Führer, Adolf Hitler, ganz vornean.«
Perdomo wollte herausfinden, wo Lledós politische Sympathien lagen, und stellte ihm mehrere Fragen zu den Nazis und dem Holocaust, doch der Dirigent antwortete ausweichend und fügte dann noch hinzu: »Jetzt, wo wir eine Demokratie haben, ist es leicht, zu sagen: Ich würde nie zum Komplizen einer Diktatur werden, ich würde niemals mit denen kollaborieren. Aber stellen Sie sich vor, wir bekämen hier in Spanien noch einmal ein totalitäres Regime. Würden Sie den Polizeidienst quittieren, Inspector? Ich weiß, Sie haben einen Sohn, der neulich auch im Konzert war. Würden Sie sein Wohlergehen, seine Ausbildung, vielleicht sogar sein Leben riskieren, damit man Ihnen hinterher nicht vorwirft, Sie hätten kollaboriert? Oder würden Sie versuchen, weiter Ihre Arbeit zu tun, so würdevoll und
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