Die Violine des Teufels
Napf zurechtmachte, entdeckte Perdomo im Neonlicht der Küche durch die kleinen F-Löcher innen am Boden des Klangkörpers einen Zettel, aber die Buchstaben waren sehr klein, und obwohl er die Augen zusammenkniff, konnte er die Aufschrift nicht lesen. Schließlich gab er sich geschlagen und holte seine Lesebrille hervor, die er aus Eitelkeit so gut wie nie trug. Nun konnte er den Zettel ohne Schwierigkeiten entziffern.
Antonius Stradivarius Cremonensis
faciebat anno 1708
Perdomo war verblüfft.
»Das ist auch eine Stradivari?«
Garralde war in die Hocke gegangen und leerte den Inhalt der Dose in den Hundenapf.
»Das hätte noch gefehlt! Darauf dürfen Sie nichts geben, Geigenbauer kleben gerne solche Etiketten auf die Böden ihrer Instrumente, damit sie dem Original mehr ähneln. Hier kann man nicht einmal von einer Fälschung sprechen, weil keine Betrugsabsicht bestand. Das ist nur eine Art Hommage an den größten Instrumentenbauer der Geschichte.«
Perdomo fiel auf, dass alle Zeichen bis auf die letzten beiden Ziffern mit Tinte aufgedruckt waren.
»Das sieht aber verdammt echt aus.«
»Vielleicht für jemanden wie Sie, der keine Ahnung von Musik hat. Viele moderne Instrumente – und jetzt rede ich wieder von Geigen für Erwachsene – haben so ein Etikett, und trotzdem sind sie so falsch wie eine Dreieuromünze. Und natürlich gibt es auch echte Stradivaris ohne Etikett, aber trotzdem sind es Originale. Und da ich weiß, dass Sie mich gleich danach fragen werden, nehme ich die Antwort vorweg: Anes Stradivari hatte kein Etikett.«
Laute Fressgeräusche drangen an Perdomos Ohr. Er konnte die Hündin zwar nicht sehen, aber dass sie sich Gott weiß welches unappetitliche Hundefutter schmecken ließ, war nicht zu überhören.
»Eigentlich wollte ich zuerst etwas anderes fragen: Anes Eltern sind ja jetzt die rechtmäßigen Eigentümer der Geige. Falls sie feststellen lassen wollten, um welche Stradivari es sich handelt, weil sie sie schätzen lassen wollten – welche Schritte müssten sie da unternehmen?«
»Das wäre schwierig. Die meisten Strads sind über jeden Verdacht erhaben, weil die Eigentümer den Stammbaum ihrer Instrumente kennen. Die Strads im Palacio Real zum Beispiel – es ist dokumentiert, wann sie Cremona verließen und wann sie in Spanien ankamen. Das Problem bei Anes Geige ist, dass der erste bekannte Eigentümer ihr Großvater väterlicherseits war, der sie bei einer Versteigerung in Lissabon erwarb.«
»War er auch Geiger?«
»Nein, Diplomat. Aber angeblich ein ganz brauchbarer Dilettant.«
Schon wollte Perdomo stolz erzählen, dass seine Frau und somit auch sein Sohn Gregorio vom großen Pablo Sarasate abstammten. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass dies wohl kaum der rechte Augenblick war, um mit illustren Vorfahren anzugeben.
»Larrazábals Großvater, lebt der noch?«
Bei dieser Frage richtete Garralde sich abrupt auf, und Perdomo sah, dass ihr Gesicht schmerzverzerrt war.
»Manchmal«, erklärte sie, während sie sich den rechten Oberschenkel rieb, »kann ich nicht eine Minute in der Hocke bleiben. Meine Beine sind in letzter Zeit die reinste Qual für mich. Kommen Sie, ich will nicht, dass Koxka uns die ganze Zeit hier neben sich hat. Lassen wir sie in Ruhe fressen und gehen auf die Terrasse. Wann immer ich kann, beobachte ich den Sonnenuntergang. Dabei«, sagte sie und nahm die kleine Geige, die Perdomo auf den Tisch gelegt hatte, wieder an sich, »erzähle ich Ihnen dann, welches grauenhafte Ende Anes Großvater gefunden hat.«
25
A ls sie hinaus auf die Terrasse traten, fiel Perdomo auf, wie hell der Himmel noch immer war, obwohl die Sonne doch bereits hinter dem Horizont verschwunden war.
»Schade, wir haben ihn verpasst!«, rief Garralde bekümmert. »Manchmal ist es eine Sache von Sekunden, ob man ihn noch zu sehen bekommt. Aber da kann man nichts machen.«
Erstaunt nahm Perdomo zur Kenntnis, dass hinter den Fenstern der umliegenden Häuser Zwielicht herrschte, und seine Gastgeberin bemerkte, als hätte sie seine Gedanken gelesen: »Ich liebe diesen Kontrast! Ich nenne das meinen ›Magritte-Effekt‹.«
Beide schwiegen sie ergriffen, doch plötzlich zerriss das klagende Miauen einer Straßenkatze die Stille. In Perdomos Ohren passte dieses Katzengeschrei eher zu einer Frau, die den Verstand verloren hatte, als zu einer rolligen Katze. Er bekam dabei jedes Mal unweigerlich eine Gänsehaut. Garralde hatte eine kleine Laterne auf der Terrasse eingeschaltet,
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