Die Violine des Teufels
professionell wie möglich?«
»Jedenfalls –«
»Jedenfalls kann man das nicht wissen, bis es so weit ist«, beendete Lledó diese Diskussion. »Alle Menschen sind zu den schlimmsten wie auch zu den besten Taten fähig, zu größter Niedertracht und zum Erhabenen. Selbst das Hakenkreuz – die Swastika –«, er klopfte auf das Glas, das das Foto schützte, »hat sich in eines der abscheulichsten Symbole der Menschheitsgeschichte verwandelt, dabei stammt das Wort Swastika aus dem Sanskrit, und die Swastika selbst ist ein Glückssymbol. Im Lauf der Geschichte hat sie sehr hohe Werte verkörpert, die nichts mit der Ideologie der Nazis zu tun haben. Das Gleiche lässt sich auch von der Violine sagen: Sie kann das romantischste Instrument der Welt sein, aber in den Händen eines Komponisten wie Bernard Herrmann beispielsweise – Sie wissen schon, der, der die Filmmusik zu Psycho schrieb –, da verwandelt sie sich in ein Instrument des Todes und der Zerstörung.«
Lledó trat dicht an das Foto heran, auf dem Hitler besser zu erkennen war, und hauchte auf das Glas. Dann wischte er mit dem Ärmel darüber, als wollte er einen imaginären Fleck entfernen.
»Wussten Sie übrigens, dass der Vatikan schon in den vierziger Jahren so davon überzeugt war, Hitler sei vom Teufel besessen, dass Pius XII. aus der Ferne einen Exorzismus versucht hat? Offensichtlich ist er gescheitert, aber wir werden nie wissen, ob das daran lag, dass Hitlers Dämon ein zu starker Gegner für den armen Pius war, oder daran, dass man Exorzismen nur durchführen kann, wenn der Besessene zugegen ist. Aber ich vermute, Sie sind nicht gekommen, damit ich Ihnen etwas über Menschen erzähle, die vom Teufel besessen sind, sondern weil Sie herausfinden möchten, ob ich Ihr Mann bin, nicht wahr?«
»So scharf hätte ich das jetzt nicht formuliert«, widersprach Perdomo.
»Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Ane Larrazábals Mörder sich gut in Kampfsportarten auskennt. Dürfte ich fragen, wie Sie zu dieser interessanten Schlussfolgerung gekommen sind?«
»Das steht im Bericht des Gerichtsmediziners, aber über solche Einzelheiten darf ich nicht mit Ihnen sprechen.«
Der Dirigent bot Perdomo einen Sitzplatz auf einer Polstergarnitur für Besucher an, die in einer Ecke des Büros stand. Dann nahm er eine Fernbedienung von dem gläsernen Couchtisch davor und richtete sie auf eine Stereoanlage. Das Konzert La Campanella von Paganini in der Version von Ane Larrazábal zusammen mit dem Leipziger Gewandhausorchester ertönte, jedoch viel zu laut, und Lledó schaltete hastig die Lautstärke herunter.
»Wissen Sie, was mein Lebensmotto ist? Verabscheue den Sport und habe Mitleid mit dem Sportler.«
»Witziges Motto«, räumte Perdomo ein.
»Ich habe noch nie ein Fitnessstudio von innen gesehen, geschweige denn eine Karateschule. Ich bin nicht Ihr Mann, Inspector, das können Sie gerne überprüfen.«
»Freut mich zu hören. Waren Sie während des Paganini-Konzerts im Saal?«
»Selbstverständlich. Ich saß im ersten Rang, ich sehe mir die Konzerte lieber von dort an.«
»Wissen Sie noch, was Sie danach getan haben, während der Pause?«
»Ich bin direkt zu Ane Larrazábals Garderobe gegangen, weil ich ihr zu ihrem Auftritt gratulieren wollte. Aber sie war nicht da.«
»Woher wissen Sie das? War die Tür offen?«
»Sie war zu, aber nicht abgeschlossen. Ich habe ein paar Mal geklopft, und als keine Reaktion kam, habe ich hineingesehen und festgestellt, dass sie nicht da war. Da dachte ich, sie wäre bereits gegangen.«
»Sind Sie nicht auf die Idee gekommen, einen Pförtner zu fragen?«
»Doch, aber keiner konnte mir sagen, wo sie war.«
»Als ich zum Chorsaal kam, standen Sie schon an der Tür. Wer hatte Ihnen gesagt, dass ein Verbrechen geschehen war?«
»Maestro Agostini, der die Leiche ja auch entdeckt hatte. Hören Sie, Inspector, ich weiß nicht genau, was Ihnen durch den Kopf geht, aber lassen Sie mich eins klarstellen: Ich kann nicht sagen, wozu ich womöglich fähig wäre, um an eine Stradivari wie die von Ane Larrazábal zu kommen. Aber eins müssen Sie mir glauben: Ich würde mich nie – hören Sie? – niemals unterstehen, eine Künstlerin ihres Kalibers ums Leben zu bringen. Hören Sie zu«, sagte er und drehte die Lautstärke der Stereoanlage auf, »achten Sie auf die Leidenschaft in der Kadenz!«
Eine Weile lauschten sie der fantastischen Aufnahme des Paganini-Konzerts. Dann zog Perdomo eine Kopie der Partitur, die man
Weitere Kostenlose Bücher