Die Violine des Teufels
anrufst, weil du Lust dazu hast, und suchst ein weniger egoistisches, ein professionelleres Motiv, um dich noch mal mit ihr zu treffen.«
»Und du hättest mir einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem du mir gesagt hast, dass sie eine Schwindlerin ist, ja?«
»Verlass dich nicht zu sehr auf mich. Der einzige Weg, das herauszufinden, besteht darin, sie auf die Probe zu stellen.«
»Das ist dein Rat? Ich soll sie auf die Probe stellen?«
»Ja, ich bin deine Rechtfertigung. Ruf sie an und frag sie, was sie glaubt, für dich tun zu können.«
»Ich kenne dich doch. Du bist davon überzeugt, dass sie unmöglich solche Kräfte haben kann.«
»Ich sag es dir noch einmal, Raúl: Dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen, stimmt nicht. Wir benutzen beinahe alles. Beinahe alles. Aber ich habe nicht gesagt, alles. Wie, hast du gesagt, heißt diese Frau?«
»Milagros.«
»Wunder – ein sehr passender Name. Du solltest dich noch einmal mit ihr treffen und versuchen herauszufinden, ob sie eine Hochstaplerin ist oder nicht. Selbst wenn sie dir bei deinem Fall nicht helfen kann, bekommst du sie so wenigstens aus deinen Alpträumen heraus, davon bin ich überzeugt.«
38
P erdomo wartete nicht einmal vierundzwanzig Stunden mit seinem Anruf bei Milagros Ordóñez. Er sagte ihr, sie verfolgten zwar verschiedene Ermittlungsrichtungen, doch der Mord an Ane Larrazábal habe für die UDEV solche Priorität, dass seine Vorgesetzten angeordnet hätten, er solle »keinerlei Hilfe verschmähen«. Der Satz – den Galdón so nie gesagt hatte – war mehrdeutig genug, um die Hellseherin glauben zu lassen, er handele in fremdem Auftrag, was es Perdomo ermöglichte, das Gesicht zu wahren und weiterhin skeptisch zu erscheinen; zugleich beließ er sie im Unklaren darüber, ob Comisario Galdón explizit Anweisung gegeben hatte, sie in den Fall einzubeziehen. Dann fragte er sie, wie sein Freund Albert ihm geraten hatte, in welcher Weise sie konkret glaube, Erhellendes zu den Ermittlungen beitragen zu können. Milagros erklärte ihm, auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen sei eine Besichtigung des Tatorts am aussichtsreichsten.
Von seinen Alpträumen sprach Perdomo bei diesem Telefonat nicht, und ebenso wenig gestattete er sich, auch nur ansatzweise mit ihr zu flirten. Vielmehr wollte er das Gespräch strikt professionell halten. Ehe er sich mit ihr für denselben Abend am Auditorio verabredete, wies er nochmals darauf hin, wie wichtig es sei, dass sie absolute Diskretion wahrte. Doch Ordóñez erinnerte ihn daran, dass sie selbst am allermeisten daran interessiert sei, ihre übersinnlichen Fähigkeiten geheim zu halten.
Sie fuhren erst um elf Uhr abends zum Auditorio Nacional, denn die Psychologin hatte erklärt, aus unerfindlichen Gründen sei ihre Empfänglichkeit für außersinnliche Stimuli nach Sonnenuntergang am größten.
»Vielleicht liegt es daran, dass meine Mutter mich um Mitternacht zur Welt gebracht hat«, hatte sie nur dazu gesagt.
Der Inspector hatte dem Sicherheitschef des Auditorio ihren späten Besuch angekündigt, obwohl der Direktor des Konzerthauses ihn schon Tage zuvor darüber informiert hatte, dass dort an Wochentagen zwischen acht Uhr morgens und ein Uhr nachts Betrieb herrsche, und seien es auch nur rein administrative Tätigkeiten. Der damit verbundene personelle Aufwand verwunderte nicht, wenn man berücksichtigte, dass das Haus dreierlei Infrastrukturen beherbergte: die des Spanischen Nationalorchesters, die des JONDE (der Jugendausgabe des Orchesters) und die des Auditorio selbst.
Doch als sie nun zum Haupteingang kamen, der auf die Plaza Halffter hinausging, erweckte das Gebäude den Eindruck, es sei verlassen, denn nirgendwo drang Licht nach außen. Der Platz selbst wirkte düster und beklemmend, da die Laternen nicht eingeschaltet waren. Perdomo hatte sich schon oft gefragt, wie es kam, dass im einundzwanzigsten Jahrhundert in der Hauptstadt der achtgrößten Volkswirtschaft der Welt manchmal die gesamte Straßenbeleuchtung einer Straße eine ganze Nacht lang ausfiel, ohne dass eine höhere Macht wie ein Bombenanschlag dafür hätte verantwortlich gemacht werden können. Ob irgendein städtischer Angestellter dann und wann einfach vergaß, den Schalter zu betätigen, der die Straßenbeleuchtung für bestimmte Gegenden Madrids aktivierte? Perdomo glaubte, Spanien müsse das einzige Land in der Europäischen Union sein – vielleicht noch Italien –, in dem etwas so Absurdes
Weitere Kostenlose Bücher