Die Violine des Teufels
Hand gab. Wie kann das sein?«
»Stress«, erwiderte Albert trocken. »Wenn wir sehr durcheinander sind, können ausgesprochen eigenartige psychische Phänomene auftreten, und da die Leute oft nicht wissen, wie sie sich die erklären sollen, schreiben sie sie der Existenz von Geistern zu.«
»Aber ich bin völlig –«, setzte Perdomo an.
»Man hat dir den Fall des Jahres übertragen, und du stehst beruflich und in den Medien sehr unter Druck. Außerdem hast du mir doch gerade erzählt, dass du deine verstorbene Frau auf ihrem Handy angerufen hast, weil du sie so sehr vermisst. Die Trauer sitzt dir immer noch tief in den Knochen.«
Perdomo senkte den Kopf, bedrückt über die vernünftigen Worte seines Freundes. Schließlich fragte er: »Habe ich einen Geist gesehen? Ich muss das wissen.«
»Ehrlich gesagt, wenn es ein Geist gewesen wäre, säßest du in der Patsche. Jedenfalls ist es so, dass weder ich noch sonst jemand dir genau sagen kann, warum diese Erscheinungen auftreten, aber ich fürchte, sie gehören zur gleichen Familie wie die hypnagogen Halluzinationen.«
»Hypnawas?«, fragte Perdomo verwirrt.
»Halluzinationen, die zwischen Schlafen und Wachen auftreten, im Allgemeinen, wenn wir noch nicht eingeschlafen sind, heißen hypnagog. Die können manchmal erschreckend sein. Hattest du noch nie das Gefühl, du seist wach und könntest dich nicht bewegen?«
»Doch, klar, das kenne ich.«
»Ich empfehle dir, nimm eine Zeitlang ein gutes Anxiolytikum. Wenn du in ein paar Wochen immer noch Alpträume hast oder die Halluzinationen wieder auftreten, dann ruf mich noch mal an, und wir suchen dir einen Spezialisten.«
Der Psychiater sah auf die Uhr, und Perdomo machte Anstalten, sich zu erheben, doch Albert beruhigte ihn lächelnd.
»Ich habe noch fünf Minuten. Wer ist diese Frau in deinen Alpträumen?«
»Milagros Ordóñez, eine Kinderpsychoanalytikerin, die behauptet, sie hätte bei einem halben Dutzend Fällen erfolgreich mit der Polizei zusammengearbeitet. Sie sagt, sie verfügt über außersinnliche Wahrnehmung.«
»Und du möchtest wissen, ob du ihr trauen kannst? Die Antwort lautet nein. Ich kenne die Dame ja nicht persönlich, aber glaub mir, das sind alles Gauner.«
»Die Frau hat mir erzählt, man hätte sie vor einiger Zeit an einem Gehirntumor operiert, und durch die Operation hätte sich in ihrem Kopf etwas verändert. Seitdem hat sie außersinnliche Wahrnehmungen. Kann es nicht sein, dass der Chirurg, als er sich an ihrem Gehirn zu schaffen machte, irgendeine Gehirnzone aktiviert hat, die bis dahin brachlag?«
»Ich bin kein Gehirnspezialist, aber der größte Mythos unserer Zeit ist die Theorie, wir würden nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen. Mit diesem Mythos arbeiten auch die Scharlatane, die Kurse zur Verbesserung des Gedächtnisses oder der Konzentrationsfähigkeit anbieten. Es stimmt, dass wir meistens nur zehn Prozent unseres Gehirns zugleich nutzen, aber das bedeutet nicht, dass wir am Ende des Tages nicht beinahe das gesamte Gehirn genutzt haben.«
Albert winkte dem Kellner, um die Rechnung zu begleichen, und wandte sich dann wieder an seinen Freund, der ihm reichlich enttäuscht vorkam.
»Habe ich etwas gesagt, was du nicht hören wolltest?«
»Nein, es ist nur diese Frau, Milagros Ordóñez, sie hat so aufrichtig gewirkt. Wenn das, was sie mir erzählt hat, gelogen war, dann kann ich mir nicht vorstellen, welchen Zweck sie damit verfolgt.«
»Wie meinst du das?«
»Normalerweise lügen die Menschen doch, um sich irgendeinen Vorteil zu verschaffen: um Geld herauszuschlagen, um nicht bestraft zu werden. Aber was könnte das Motiv dieser Dame sein?«
»Womöglich hat sie dich gar nicht angelogen. Damit will ich sagen, möglicherweise leidet sie unter irgendeiner Wahnvorstellung oder psychosebedingten Halluzinationen, und wenn sie dir sagt, dass sie paranormale Kräfte hat, dann glaubt sie selbst daran.«
»Sie hat aber gar nicht psychotisch gewirkt.«
»Womöglich wollte sie auch nur mit dir anbändeln, Mann. Du kannst dich immer noch sehen lassen.«
Perdomo lächelte.
»Du meinst, sie hat versucht, mich zu beeindrucken?«
»Kann doch sein. Ist sie attraktiv?«
»Sie ist älter als ich.«
»Weich nicht aus. Ich frage dich, ob sie sexy ist.«
»Sie sieht gut aus. Na und?«
»Vielleicht suchst du ja nur einen guten Vorwand, um sie wiederzusehen.«
»Einen Vorwand? Und wofür brauche ich einen Vorwand?«
»Vielleicht fühlst du dich schuldig, wenn du sie nur
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