Die Vision
legte er das härene Hemd neben mich auf das Bett und suchte in dem Bündel, das er sich von der Truhe geholt hatte, nach seiner Peitsche. Je öfter ich diesen gräßlichen, kleinen Stock mit den scharfen Lederriemen sah, desto mehr verabscheute ich ihn. Kann sein, ich bin von schlichter Gemütsart, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß solche Selbstkasteiungen Gott wohlgefällig sein sollen. Und jeden Abend das Gleiche. Dachte er, selbst ein höfliches ›Gute Nacht‹ wäre für mich noch zu schade? War ich zu unansehnlich, zu niedrig geboren, um einen Blick oder ein nettes Wort zu verdienen, jetzt, wo wir verheiratet waren?
Beim Anblick von Gregory, der sich wieder einmal für seine Andachtsübungen bereitmachte, wurde ich immer wütender – so wütend, daß mir die Hitze ins Gesicht schoß und mein Herz immer heftiger hämmerte. War ich so alt, so häßlich, daß ich solches verdiente? Er hatte sich mit dem Gesicht zur Wand gestellt und kniete sich jetzt stumm vor das Kruzifix, das neben dem Bett hing. Ich sah mein Hemd an, das mir fast bis auf die bloßen Füße reichte. Es hatte einen hübschen, gestickten Saum. Nicht das Gewand einer Schlampe, dachte ich, und darunter steckt auch kein altes Weib. Ich nahm eine der langen, hellbraunen Locken in die Hand, die mir in Wellen bis zur Mitte herabfielen. Was ist daran nicht in Ordnung? Sie sind noch hübsch, auch wenn sie nicht blond sind. Ich legte den Kamm hin. Er hielt inne, und als ihm das Blut den Rücken hinunterrann, hörte ich ihn sagen: »Gelobt sei Gott…« Gott, ha! Sagt Gott nicht, daß Männer, die heiraten, ihren Frauen gegenüber Pflichten haben? Was stimmte nicht mit mir, daß er sich benahm, als wäre ich unsichtbar?
Ich wurde noch wütender. Da hatte ich zwei Kinder geboren, kräftige, lebensfähige Kinder, und nur ein einziger kleiner Schwangerschaftsstreifen war zu sehen. Manch einer würde sich glücklich schätzen, wenn er mich zur Frau hätte. Und Geld hatte ich auch mit in die Ehe gebracht, damit konnte er ganz seinen Neigungen leben – es sogar seiner eingebildeten, habgierigen Familie in den Rachen werfen. Und kein einziges freundliches Wort, obwohl ich hier ganz allein unter Fremden war. Was Gott wohl dazu sagte?
Die Wut stieg in mir hoch und blieb mir wie ein Kloß in der Kehle stecken. Ich war so überaus wütend, daß ich nicht mehr denken konnte. Meine Augen stachen. Auf einmal ging es einfach mit mir durch. Ich schnappte mir das härene Hemd vom Bett, und ehe er überhaupt begriff, was ich getan hatte, war ich schon aufgesprungen, hatte ihm die Peitsche entrissen und war wie eine Irre zur Tür gerannt. Ich flog so schnell die Treppe hinunter, daß ich nicht einmal die Steine unter den Füßen spürte.
Ich hörte nicht auf seinen Wutschrei, als er mich verfolgte, noch auf das trunkene Beifallsgebrüll der Männer unten. Ich rannte mit nichts als dem Hemd bekleidet zum Feuer. Bebend vor Zorn und mit rotem, erhitzten Gesicht warf ich sein härenes Hemd und die Peitsche in die Flammen, ergriff den Schürhaken und schob sie an die heißeste Stelle, wo sie fröhlich aufflammten. Einhelliges, brüllendes Gelächter, als den Zechern aufging, was ich da verbrannte.
Dann fühlte ich, wie eine schwere Hand mich umdrehte – mit der anderen hielt er seine Unterhose fest, deren nicht zugeknöpfte Klappe hinter ihm herflatterte.
»Was hast du GETAN, du schamlose, feile – Metze !« brüllte er mich an.
»Ich habe sie verbrannt, und das geschieht Euch ganz recht!« brüllte ich zurück und vergaß das Feuer, das gefährlich nahe an meinem aufgelösten Haar tanzte.
»Bei Gott, was für eine Frau!« hörte ich seinen Vater ausrufen. Gilbert wandte den Kopf, und da sah er, wie sich der alte Mann über den Tisch gebeugt hatte und ihn mit der Faust bearbeitete, während ihm die Lachtränen über das erhitzte Gesicht liefen.
»Wenn Ihr sie nicht wollt, ich nehme sie jederzeit!« rief eine betrunkene Stimme.
Wütend wandte sich Gregory wieder mir zu, und zu meinem Glück hatte er nur eine Hand frei, sonst hätte er mich wohl erwürgt.
»Da siehst du, was du angerichtet hast? Blamiert hast du mich. Du hast mich vor aller Augen blamiert.« Es galt mir gleichviel, ob ich starb. Sollte er mich doch ins Feuer stoßen.
»Na los, bringt mich doch um! Ich habe Euch satt, so satt!« kreischte ich.
Gregorys Vater hielt sich jetzt nicht mehr die Seiten, sondern stand neben ihm. Schweigend zog er die Hundepeitsche aus dem Gürtel und reichte sie
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