Die Vision
seinem Sohn. »Höchste Zeit, daß du sie gefügig machst«, sagte er ruhig.
»Wehe, Ihr schlagt mich, wehe, Ihr faßt mich an!« schrie ich und blickte ganz außer mir in die Runde der grinsenden, roten Gesichter, die sich an der Szene ergötzten. Gregory sah sie auch. Lieber Gott, das nimmt kein gutes Ende, dachte ich. Man kann ihm nichts Schlimmeres antun, als ihn zu blamieren.
Gregory ließ meine Schulter los und griff wortlos nach der Peitsche. Er blickte seine andere Hand an, und dann sagte er mit der ganzen Würde, die er unter diesen Umständen aufbieten konnte, zu seinem Vater: »Aber nicht hier unten, vor allen Leuten. Laßt mich nur machen, sie kommt mit nach oben, und da besorge ich es ihr richtig.«
»Natürlich«, sagte sein Vater.
»Wenn Ihr mich anrührt, stürze ich mich aus dem Fenster«, fauchte ich ihn an. Wie ich sie allesamt haßte, diese herzlosen, widerwärtigen Männer.
»Margaret«, sagte er mit harter Stimme, »du bist zu weit gegangen, es wird Zeit, daß du dafür zahlst. Nach oben mit dir, es gibt hier unten nämlich genug Männer, die mir liebend gern helfen würden.« Alles schwieg, und die, welche sich noch auf den Beinen halten konnten, hatten sich um uns geschart. Es gab kein Entrinnen.
Als er hinter mir die Treppe hochging, hörte ich jemanden hicksen: »Genau wie ich immer sage, Frauen brauchen eine anständige Tracht Prügel.« Meine Augen brannten. Kaum war ich oben angelangt, da drehte ich mich um. Seine Miene war grimmig.
»Bringt mich um Gottes willen nicht um. Denkt an meine kleinen Kinder. Bitte.« Doch seine Miene veränderte sich nicht. Mit einer einzigen schroffen Bewegung warf er mich aufs Bett. Mit einem Ruck zog er den Bettvorhang hinter sich zu, kletterte zu mir hinein, und ich schrie und barg das Gesicht schützend in den Händen, als ich sah, wie er die Peitsche hoch über meinem Kopf hob. Ein fürchterliches ›Klatsch‹, doch ich spürte keinen Hieb. Hatte ich vor Angst den Verstand verloren? Ich lugte durch die Finger und machte große Augen. Er hatte nicht getroffen; er hatte das Kissen geschlagen.
»Margaret, schrei um Himmels willen weiter, sonst kommen sie hoch und machen ernst«, zischte er. Ich zitterte am ganzen Leibe.
»Dann – dann wollt Ihr – mich nicht…?«
»Hast du wirklich so gering von mir gedacht? Weißt du denn nicht, daß ich dir nie ein Leides tun könnte? Willst du mir mit diesem angsterfüllten Blick das Herz brechen?« Er biß sich auf die Lippen, dann hob er wieder die Peitsche. »Die da unten hasse ich, ich hasse sie!« und damit schlug er auf das Kissen ein.
»O Gott, brecht mir nicht die Knochen!« kreischte ich, denn langsam erwärmte ich mich für meine Rolle.
»Weib, ich breche dir alle Knochen im Leib; das ist mein gutes Recht!« donnerte er. »Wehe, du gehorchst von jetzt an nicht!« Wir hörten, wie man ihn von unten anfeuerte. Ich schrie furchtbar. Irgendwie tat das gut – warum weiß ich auch nicht. Dann schrie auch er. Noch ein paar Hiebe, und das Kissen platzte. Eine Federwolke stob auf, und ich mußte husten. Es hörte sich genauso an wie Schluchzen. Von unten kamen weitere Anfeuerungsrufe und ein immer lauteres Gejammer aus dem Bett der Kinder.
»Einen Augenblick«, sagte ich und schlüpfte durch die Vorhänge, denn ich mußte die Kinder beruhigen. »Mama geht es gut«, sagte ich. »Ihr habt einen bösen Traum gehabt.«
»Ziemlich lauter Traum«, sagte Cecily und setzte sich auf.
»Träume mag ich nicht. Dürfen wir in dein Bett, Mama?« fragte Alison, die nur halb wach war.
»Nein, das geht nicht. Wir spielen ein Spiel. Den Krach machen doch wir, und ihr seid jetzt mucksmäuschenstill und schlaft wieder ein, und – morgen dürft ihr auf dem Esel reiten.« Ich deckte sie wieder zu.
»Den ganzen Tag?« flüsterte Cecily.
»Den ganzen Tag, aber nur, wenn ihr sofort wieder einschlaft, und nicht mogeln.« Sie gaben sich alle Mühe, so zu tun, doch wie das bei Kindern so geht, wurde aus der Verstellung schon bald Wirklichkeit. Und schon atmeten sie sanft, hielten sich umschlungen und schliefen tief und fest.
Ich drehte mich um, und da saß ein mißmutiger Gilbert auf dem Bett, und die Hundepeitsche baumelte in seiner Hand. Durchs Fenster schien der Vollmond und sandte einen Lichtstrahl zu der Stelle hin, wo er saß. Sein Haar und Bart waren voller Federn. Ich setzte mich neben ihn.
»Ihr seid ganz voller Federn«, flüsterte ich.
»Du auch«, gab er flüsternd zurück. Unten sangen sie schon wieder.
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