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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Augen, daß ich mir schon wie ein Einhorn vorkam.
    »Nein, was für Federn überall. Er muß es Euch aber tüchtig besorgt haben.«
    Sie sprach einen so breiten, bäurischen Dialekt, daß ich sie kaum verstand. Doch da ich mir ehrlicherweise kein Stöhnen abringen konnte, sagte ich nur:
    »Ist das das Frühstück? Kann ich es haben?«
    Sie blickte überrascht auf das Tablett, so als hätte sie es für einen Augenblick vergessen gehabt. »Ja. Das schickt er Euch hoch. Gewiß tut es ihm leid. Habt Ihr ein Glück. Den anderen tut so was nie leid.«
    Was für ein taktloses Mädchen. Ich überlegte, woher sie Bescheid wußte. Ich wollte mich über das Essen hermachen, aber sie wich und wankte nicht. Sie stand da und hielt Maulaffen feil. Endlich hatte ich genug gegessen und konnte fragen:
    »Warum starrst du mich so an?«
    »Ohhh. Ich habe noch nie eine Dame zu Gesicht gekriegt, und ich muß alles gut behalten, damit ich den anderen davon erzählen kann.« Ihr Blick wanderte zum Kleiderhaken.
    »Sind das Eure Anziehsachen?« fragte sie und befühlte mein Hemd. »Hübsch. Leinen, was?« Dann sah sie das Überkleid, das darunter hing. »Meiner Treu. Das ist ja Gold – und grüner Samt auch noch. Ist das aus London?«
    »Es wurde dort genäht, aber der Stoff kommt aus Genua.«
    »Das ist weit weg, was?«
    »Sehr weit weg. Mein verstorbener Mann hat es mit dem Schiff nach England gebracht. Aber sag, ist unten schon jemand auf?«
    »Kaum einer. Das Hausgesinde liegt noch im Palas rum, aber der Koch ist auf, obwohl ihm der Schädel brummt. Das Hofgesinde hat die Pferde aus dem Stall geholt und Mam und ich, wir waren just auf dem Hof, wollten die Tischtücher auskochen, da kam Master Gilbert. Von Mam weiß ich alles über Damen: Sie hat Lady Bertrande fast jeden Tag zu Gesicht gekriegt. Aber ich kann mich überhaupt nicht an sie erinnern. Sie ist gestorben, da war ich noch ganz klein. Alle sagen, daß sie die größte Dame auf der ganzen Welt war. Als die nach ihrer Hochzeit hierher gekommen ist, da hat sie haufenweise Truhen von zuhause mitgebracht. Und Falken und Jagdhunde und einen Schimmel und ein Schoßhündchen und zwei Stallknechte und einen Kaplan und drei Mägde.« Woraufhin sie mich von Kopf bis Fuß musterte. »Ihr habt keine Mägde, was?«
    »Hier nicht.« Allmählich ging sie mir auf die Nerven.
    »Aber alles andere habt Ihr doch? Die Truhen und das Schoßhündchen und so, irgendwo, was?«
    »Ja, natürlich.« Wie gräßlich. An einem Schoßhündchen gemessen zu werden. Wie würde ich sie enttäuschen, wenn ich ihr erzählte, daß ich gar keine richtige Dame war. Nur die Wittib eines Kaufmanns mit Geld. Und was wird aus mir, wenn das Geld aufgebraucht ist, überlegte ich. Dann dürfte ich hier auf ewig festsitzen und Flickarbeit für andere machen – die nutzlose Frau des nutzlosen jüngeren Sohnes. Wenn doch nur die Besitzansprüche endlich geklärt wären, dann könnte Gregory mich fortbringen, dachte ich bei mir. Ohne seine Verwandtschaft würde alles viel besser laufen. Mann und Frau müssen sich schließlich nicht lieben, um gut miteinander auszukommen. Man denke nur an letzte Nacht. Der Teil der Ehe, der ist gut. Und er hat auf seine Art wirklich etwas für mich übrig. Und er ist klug – der Gesprächsstoff wird uns nie ausgehen. Wir könnten glücklich sein. Wir könnten seine Familie zweimal – na gut, einmal im Jahr besuchen. Ja, einmal – das sollte reichen. Nur bis die Möbel durch die Gegend fliegen. Viele Tage ohne Möbelflug dürfte es ohnehin nicht geben. Wer bei Verwandten wohnt, bekommt Eheprobleme. Und dabei halten es fast alle so, vor allem der niedere Adel. Doch in der Regel ist es der älteste Sohn, der im Haus seines Vaters wohnen muß, bis er sein Erbe antreten kann, und oft genug treibt ihn das an den Rand des Wahnsinns. Wenn ich also Gregory dazu bringen kann, die Sache mit meinen Augen zu sehen, dann begreift er, daß wir Glück haben, wir können es uns anders einrichten.
    Unterdes hatte sich Cis wieder soweit gefaßt, daß sie einen Knicks machte und dann durch die ächzenden und zuckenden Leiber davonklapperte. Ich zog den Bettvorhang zu und wollte mich gerade wieder über das Frühstück hermachen, als ich ein Rascheln vor dem Bett hörte.
    »Mama, dürfen wir rein?«
    »Mama, hast du da drin etwas zu essen? Wir sind auch hungrig.« Sie hatten sich so unmöglich angezogen, wie es Kinder eben tun: Cecily hatte Alisons Kleid an, und das auch noch mit der Innenseite nach außen. Sie

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