Die Vision
er. ›Ein Buch? Ei, ich würde Euch ja gern behilflich sein, aber ich kann kein Wort Hebräisch lesen. Versucht es bei Abraham dem Goldschmied.‹ Und so gehe ich zum Goldschmied. ›Ein Buch?‹ sagt der. ›Ach, es ist die Tragödie meines Lebens, daß ich nicht Hebräisch lesen kann‹, und schafft es sogar noch so auszusehen, als verdrückte er eine Träne. Eine Träne, so zweifelhaft wie die Heiligentränen, die ich verkauft habe. Ha! Sie wollen mein Buch einfach nicht lesen, so ist das, und nun bin ich zu dem Schluß gekommen, daß sie ihr Spiel mit mir treiben.«
»Aber Malachi, hast du nicht selber oft genug gesagt, daß die Alchimie einem gefährlich werden kann? Du weißt doch, was dem Comte de St. Médard zugestoßen ist. Vielleicht scheuen sie das Risiko, das sie eingehen müssen – und sie tun recht daran«, fiel ihm Mutter Hilde ins Wort. Sie hatte ihre Flickarbeit beiseitegelegt und den Glaskolben geholt, aus dem sie Malachi nachschenkte.
»Aber Hilde, mein Schatz, Avignon ist der Hort der Alchimie. Darin kommt ihr keine Stätte der Christenheit gleich. Menschen, die bereits viel Gold besitzen, können immer noch mehr gebrauchen. Ich dachte, ich hätte dir erzählt, daß einst sogar ein Papst zu unserer Zunft gehörte. Darum war ich auch so sicher, daß ich hier meinen Übersetzer finden würde. Es gibt wahrscheinlich Dutzende von ihnen, die in Kellern vor sich hinschuften und Geheimschriften übersetzen. Warum nicht auch meine? So eine Ungerechtigkeit! Hirn, Hirn – laß dir etwas einfallen, Hirn.«
Auf der Bahre, die in der Ecke auf Bänken lag, stöhnte Gregory und bewegte sich.
»Nicht jetzt, Gilbert, nicht jetzt. Kannst du denn nicht begreifen, daß es sich nicht ziemt, mich zu unterbrechen, wenn mein zartes Hirn arbeitet? Das ist, als würdest du genau dann in meine Gefäße pusten, wenn ein Prozeß nicht gestört werden darf – eine Sünde, zu der dich deine Neugier in alten Zeiten oft verleitet hat. Rücksichtnahme! Rücksichtnahme! Denk an mein empfindsames Hirn und halte den Mund!«
»Machst ja selber Krach«, schien es von der Bahre zu kommen, während sich Gregory die Decke über den Kopf zog.
»Ein Papst als Alchimist, Malachi? Welcher denn?« wollte ich zu gern wissen.
»Man sagt, der letzte Papst Johannes. Der Zweiundzwanzigste seines Namens, glaube ich. Gold genug hat er jedenfalls in den Schatzkammern zurückgelassen. Aber ich glaube nicht, daß er das Geheimnis der Geheimnisse entdeckt hat, obschon das gemunkelt wird. Mich dünkt, es stammt aus dem Verkauf von Ablaßbriefen. Aber das ist auch irgendwie Alchimie, aus Papier Gold machen. Diese Art habe ich selber ein wenig praktiziert, ich dürfte Bescheid wissen.«
»Da wir gerade bei Alchimie sind, Malachi«, setzte Mutter Hilde an und schenkte ihm Wein nach, um ihn gnädiger zu stimmen, »bislang hast du uns noch nicht erzählt, wieso du für den Grafen Gold gemacht hast, wo du für mich nie etwas zustande gebracht hast, nicht einmal, als das Dach ausgebessert werden mußte.«
»Ich?« Malachi spielte den Überraschten und blickte in die Runde. Dann sah er Hilde an und seufzte. »Es ist wohl nur recht und billig. Du würdest noch geringer von mir denken, wenn ich es dir nicht erzählen würde. Hilde, du meine Herzenskönigin, habe ich nicht geschworen, daß das erste Gold, welches ich mache, dazu dienen soll, dir für deine jahrelange Geduld eine Krone zu kaufen?« Hilde lächelte nachsichtig. Doch sie blickte ihn immer noch an, als wartete sie auf Antwort. »Ich habe mich einer List bedient, mein Schatz, wie du sicher schon die ganze Zeit geargwöhnt hast. Das Geheimnis war in meinem Rührstab. Das Gold waren Margarets eingeschmolzene Florin.«
»Malachi, soll das heißen, Ihr habt dem Grafen als Lösegeld ein falsches Geheimnis angeboten? Ich schwöre, ich wäre vor Angst gestorben, wenn ich geahnt hätte, daß Ihr schon wieder mit Tricks arbeitet«, unterbrach ich ihn.
»Genau das habe ich mir gedacht, Margaret. Darum durftest du auch nicht davon wissen. Ich dachte mir, der Mann ist leichtgläubig. Doch woher hätte ich wissen sollen, daß er außerdem noch böse ist.«
»Malachi, bleib bei der Sache. Ich warte immer noch auf deine Erklärung, wie du das bewerkstelligt hast.«
»Sehr einfach. Der älteste Trick der Welt. Der Stab war hohl und hatte einen Stöpsel aus schwarzem Wachs. Das Gold war im Stab. Bei Hitze schmilzt das Wachs, das ist alles! Das Gold fließt heraus. Der Rest ist dann nur noch
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