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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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brauchen. Denkt daran, wenn Ihr wieder zu Haus seid. Es wird Tage geben, da werdet Ihr Euch statt dessen nach bitterer Arznei sehnen. Zu solchen Zeiten mögt Ihr sie als Buße ansehen und Euch daran erinnern, daß ich Euch darum gebeten habe.«
    Als der Arzt sich unter dem niedrigen Türsturz bückte, lächelte Gregory und schüttelte den Kopf. Wo um alles hatte Margaret nur einen Arzt aufgetrieben, der geschäftlich eine solche Niete war? Er hatte sich aber auch gar nichts einfallen lassen, um sein Honorar in die Höhe zu treiben, und dabei hätte er reichlich Gelegenheit dazu gehabt. Und als er die Tür aufmachte, sah Gregory, daß er unter dem ausgefransten Saum seines Gewandes barfuß ging wie ein Bauer am Alltag.

    Im Hof der Herberge dünkte mich, ich hätte jemand erblickt, der Sim sehr ähnelte und sich in die andere Richtung davonstahl. Hätte ich jedoch den Affen gesehen, mir wäre klar gewesen, daß es sich um Sim handelte, denn der Junge ließ wirklich keine Sehenswürdigkeit aus.
    »Nein, dieser Bengel«, sagte Mutter Hilde und hob den Korb auf die andere Hüfte. Malachi, der seine Einkäufe wohlbehalten vorn im Gewand barg, folgte ihr und holte sich Erdbeeren aus ihrem Korb. Jetzt nahm er eine letzte, zupfte die Blätter ab und steckte sie in den Mund.
    »Malachi«, sagte Mutter Hilde lachend und blickte sich dabei um, »wenn uns ein Feind verfolgte, er brauchte nur der Spur nachzugehen, die du ausgelegt hast.« Wir blickten uns um und sahen die ganze staubige Straße entlang immer wieder verräterische, grüne Blätter liegen.
    »Und Ihr habt gesagt, wir würden uns Flecken machen!« rief ich.
    »Nur ein paar«, sagte er schuldbewußt mit vollem Mund. »Ich wollte nur prüfen, ob sie reif genug für dich sind. Unreife Erdbeeren sind nämlich ungesund. Du darfst uns doch nicht krank werden, oder?«
    »Oh, Bruder Malachi«, sagte ich übertrieben ernst. »Wie lieb von Euch, daß Ihr meinetwegen eine solche Gefahr auf Euch genommen habt.«
    »Danke«, gab er zurück und stieg kauend die Außenstiege hoch. »Ich wußte doch, daß du meine Bemühungen zu schätzen weißt.«
    Ich war die erste an der Tür, bangend und hoffend zugleich, welcher Anblick sich mir bieten würde. Was es auch immer war, ich wollte die erste sein. Vielleicht hatte er gut geschlafen. Vielleicht hatte er wieder Erscheinungen gehabt, und seine Augen zuckten hin und her wie die eines Wahnsinnigen. Statt dessen war etwas Wunderbares geschehen. Gregory saß im Bett. Sein Gesicht hatte die graue Farbe verloren, und die dunklen Ringe unter seinen Augen waren verschwunden. Er war immer noch geisterhaft dünn, aber endlich sah er aus, als wäre er auf dem Wege der Besserung. Seine Augen strahlten, als er mich sah. Und er redete, als ob er wieder bei Sinnen wäre.
    »Margaret«, sagte er beinahe zaghaft. »Dann bist du doch zurückgekommen, ja?«
    »Gregory, was ist geschehen? Du siehst soviel besser aus! Da, sieh, ich habe dir ein Geschenk mitgebracht. Das mußt du geahnt haben. Ich habe doch immer gesagt, daß du bald gesund bist!«
    »Du willst dir wohl auch Flecken machen«, jammerte Bruder Malachi, doch seiner Stimme war die Erleichterung anzuhören. »Wie gut, daß ich einen ganzen Korb voll gekauft habe.«
    »Was ist das, Erdbeeren? Ist schon Erdbeerzeit?«
    »Die kommt hier früher, Gregory. Es ist noch nicht Juni. Komm, ich zupfe dir die Blätter ab.«
    »Glaubst du, ich kann mir die Blätter nicht selbst abzupfen? Margaret, ich esse schon länger Erdbeeren als du.«
    »Ei, das muß gefeiert werden!« rief Mutter Hilde. Malachi rückte die Bank heran, damit wir alle bei Gregory und um den Korb herum Platz hatten.
    »Wenn ihr feiert, dann seid ihr wohl nicht böse auf mich?« kam Sims Stimme sehr kläglich von der Tür.
    »Nicht wenn du nach unten gehst und Abendessen für uns aus der Küche holst«, sagte Bruder Malachi ohne aufzublicken.
    »Ihr wißt doch, wie die Frau immer schimpft. Ich kenne mich mit den Worten nicht aus, aber freundlich sind sie nicht. Sie möchte ihre Rechnung bezahlt haben.«
    »Na gut, ich komme mit und schwöre, daß sie ihr Geld bekommt, noch ehe die Woche herum ist. Mir ist da eine prächtige Idee gekommen.« Und damit verabschiedete sich Malachi mit einer Handvoll Erdbeeren, begleitete Sim nach unten und teilte mit ihm.
    »He, nicht alles aufessen, bis ich wieder da bin«, rief Sim die Stiege hoch.
    »Jetzt will ich dir zeigen, was ich dir mitgebracht habe«, sagte ich und wischte mir die Hände ab. »Das

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