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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Weinflasche hervor. Sim hielt einen riesigen Brotlaib, ein Stück Käse und die langen, grünen Enden von zwei großen Zwiebeln, die ihm fast bis zum Knie gingen. Auf dem Kopf balancierte er vorsichtig einen Stapel Holzschüsseln.
    »Meine Silberzunge, Schatz. Und als sie mir keinen Glauben schenken wollte, da offenbarte ich ihr, daß ich demnächst ein seltenes, alchimistisches Buch für eine märchenhafte Summe an den Mann bringen würde.«
    »Malachi, du willst dein Buch verkaufen?« fragte Mutter Hilde, und die Tränen liefen ihr beim Zwiebelschneiden übers Gesicht.
    »Nein, ganz und gar nicht. Das hier dient nur als Vorlage. Ich will ein paar herstellen. Mit Gilberts Hilfe kann ich sogar noch mehr schaffen. Überall sind Adepten auf der Suche nach dem Geheimnis der Geheimnisse. Jeder von ihnen würde sich für dieses kostbare Werk liebend gern von einer nicht unbeträchtlichen Summe trennen. Und weil es das Geheimnis des Universums enthält, wird keiner von ihnen einer Menschenseele verraten, daß er es besitzt. Außer natürlich Abraham und seinesgleichen. Und wenn der ihnen sagt, daß es wertlos ist, dann glauben sie einfach, daß es noch geheimnisvoller verschlüsselt ist und er es nur nicht übersetzen kann. Die brillanteste Idee meines Lebens – wer verfolgt schon einen ehrlichen Handwerker mit Heugabel und Fackeln und fordert seine Haut? Niemand. Alle werden sie ihre Schande verbergen, so wie ich die meine. Und wir reisen in großem Stil heim und verkaufen in jeder Stadt, in der wir halt machen, ein Buch. Und jetzt essen wir zu Abend. Gilbert muß zu Kräften kommen, damit wir uns an unser großes Werk begeben können.«
    Während das Abendessen verschwand, blickte Gregory auf und sagte: »Theophilus, du alter Schurke, wo bist du eigentlich eine ehrliche Haut?«
    »Überall, überall, Gilbert, du griesgrämiger, junger Zweifler. Ich verkaufe Glück und Hoffnung – und zu weitaus niedrigeren Preisen als gewisse große, kirchliche Institutionen, die ich nicht nennen möchte. Das kommt daher, daß ich weniger zu hören bekommen habe. Man sollte immer mit leichtem Gepäck reisen – ›Leichter Fuß und leichter Sinn‹, das ist meine Devise.«
    »Oh, Malachi, was hast du doch für ein großherziges Gemüt!« rief Mutter Hilde.
    »Wenn es hier mehr großherzige Gemüter geben würde, so hätten sie mir mehr als nur ein halbes Dutzend Erdbeeren übriggelassen, die obendrein auch noch unreif waren«, murrte Sim.
    »Du, Sim«, hob Bruder Malachi an, »da ist immer noch die Sache mit dem Berberaffen, für die wir dich noch nicht ins Gebet genommen haben. Gib lieber Ruhe.«
    »Und meine Schädel teile ich auch mit niemand. Und glaubt ja nicht, daß Ihr sie als Reliquien verkaufen könnt.«
    »Reliquien? Mein liebes Kind. Das ist ein gefährliches und unersprießliches Gewerbe. Ich habe eine höhere Berufung gefunden. – Gilbert, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, so warst du immer gut im Zeichnen. Für diese Unternehmung brauche ich allegorische Bilder. Hübsch kolorierte. Ich denke immer noch an die hervorragende Zeichnung, die du einst vom Rektor gemacht hast – die, auf der du ihn mit einem Eselskopf abgebildet hast, wenn ich mich recht entsinne.«
    »Hast du Farben?« fragte Gilbert fröhlich.
    »Nur drei, dazu noch Schwarz und Weiß. Mehr konnte ich mir nicht leisten. Blattgold nicht. Du kannst sie doch mischen, oder? Ich brauche Qualitätsarbeit.«
    »Soll ich mir die Allegorien selber ausdenken?«
    »Na, na – komm mir nicht komisch. Halte dich immer an die Vorbilder in dem Buch hier.«
    »Zeig her.«
    Bis das Licht sie im Stich ließ, berieten sich Gregory und Bruder Malachi frohgemut über die neuen Bücher.
    »Das ist eine Menge Kopierarbeit.«
    »Na ja, du mußt ja nicht genau sein.«
    »Es wäre leichter, wenn man irgendwo Latein einflechten könnte. Wie wäre es mit einem Fluch?«
    »Einen Fluch? Ein Geniestreich, Gilbert. ›Fluch über jeden, der das Geheimnis dieses Buches preisgibt.‹ Wunderbar. Das gibt Farbe.«
    »Du könntest die Seiten auch – in rätselhafte Gruppen einteilen. Sieben Mal drei oder so ähnlich. Und noch mehr Diagramme einfügen. Die brauchen viel Platz.«
    »Hervorragend. Die Diagramme mache ich. Mit der Sorte, die hier gebraucht wird, kenne ich mich aus.«
    »Das Bild hier ist hübsch. Der Grüne Löwe. Wenn ich in einem Stück nach Hause komme, werde ich ihn in mein Wappen aufnehmen.«
    »Gilbert, halte an dich. Dafür könnte man dich verfolgen. Bleibe du

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