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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Mitgiftjägern im gesamten Königreich England aus einem Haus, das vom Blut unterlegener Freier und Möchtegernerben troff, und das war die verarmte, händelsüchtige, anmaßende Sippschaft der de Vilers. Und das Schlimmste daran: Ich hatte, dumm wie ich war, den ersten dieser Sippe in mein Haus gelassen, diesen jüngeren Sohn und Tunichtgut, diesen gescheiterten Mönch und Dichterling, der sich unter dem Namen Bruder Gregory in der Stadt herumtrieb. Mir, nur mir verdankte er es, daß mein Mann ihn als Schreiber beschäftigte. Und jetzt wußte ich nicht, was stärker war, Gram und Selbstmitleid oder die Wut über meine eigene Torheit, denn da stand ich nun in der Hauskapelle seines Vaters und wurde ohne Ehevertrag und Aufgebot mit ihm vermählt.
    Es war einer dieser grauen, nieselnden Tage im Vorfrühling, wenn Himmel und Erde fast eins zu sein scheinen. An vielen Stellen war zwischen den kümmerlichen, mit blankem Eis überkrusteten Schneehaufen schon ein Fleckchen abgestorbenes Gras oder gefrorener Morast zu sehen. Auf einem zerfurchten Weg, der sich über eine vereiste Koppel und durch ein Dorf mit strohgedeckten Katen schlängelte, näherte sich ein Reitertrupp seinem Ziel, dem Herrenhaus von Brokesford, einem wehrhaften Haus im alten, normannischen Stil, das sich am Ende einer mit kahlen Bäumen gesäumten Auffahrt halb hinter einer verfallenen Mauer duckte. Im Dorf war ein Dutzend Bauern zusammengelaufen und stand barfuß im eisigen Matsch am Wegesrand, während Kinder aus den Fenstern lugten, um sich an dem Spektakel zu ergötzen. Es war Mitte Februar im Jahre des Herrn 1356, und der Sieur de Vilers kehrte von einem Abenteuer heim, zu dem er kaum eine Woche zuvor in gestrecktem Galopp, gefolgt von seinen Söhnen, Knappen, Stallknechten und waffenbeladenen Packpferden, aufgebrochen war.
    Ein Murmeln durchlief die Schar der Gaffer, als der Trupp sich näherte. Das war nicht mehr die Gruppe, die aufgebrochen war. Zugegeben, an der Spitze ritt wie üblich der alte Sir Hubert aufrecht und eingebildet auf seinem großen Fuchs, gefolgt von seinem ältesten Sohn Sir Hugo auf dem Braunen. Ihnen folgte ein Stallknecht, der die Packpferde führte. Aber – danach – was war das? Robert und Damien, die beiden Knappen, hatten noch jemand vor sich auf dem Pferd, zwei kleine Gestalten, Kinder. Mädchen dem Aussehen nach, obwohl sie ziemlich dick eingehüllt waren. Hinter ihnen ritt Sir Huberts jüngerer Sohn in formlosem Gewand und Schaffellmantel, derjenige, den früher ein religiöser Wahn gepackt hatte, so daß er sich wer weiß wieviele Jahre herumgetrieben und seinem Vater unsäglichen Kummer bereitet hatte. Und hinter sich, nein, welch ein Skandal, hinter sich auf dem Sattelkissen hatte er eine junge, hübsche Frau sitzen. Eine zerbrechlich wirkende, blasse Frau mit rotgeränderten, verweinten Augen, die in einen prächtigen, tiefschwarzen Umhang und ein gleichfarbenes Übergewand gekleidet war. Noch bevor die Stallknechte am Ende des Trupps durchs Tor geritten waren, hatte sich schon die Kunde verbreitet, daß die Frau eine wohlhabende Wittib sei, eine echte Erbin aus der City von London, und daß die kühnen Herren von Brokesford sie vor dem sicheren Tod bewahrt hatten.
    Das Beste daran war jedoch – und über den Grund wurden an allen Herdfeuern des Dorfes hämische Vermutungen angestellt –, das Beste war, daß sie schnurstracks und ohne Aufgebot verheiratet werden sollte. Und nicht etwa mit dem alten Sir Hubert, der schon lange Witwer war, und auch nicht mit Sir Hugo, der allmählich legitime Erben zeugen sollte, nein, mit Gilbert, diesem Irren, der zu nichts weiter taugte, als die Nase in Bücher zu stecken. Wie hatte der sie überhaupt aufgetrieben? Vielleicht kam Gilbert ja doch mehr auf seinen Vater, als man dachte. Nicht auszudenken, was für Gelegenheiten sich einem Geistlichen boten, der sich durch die Hintertür ins Haus verheirateter Frauen einschleichen konnte. Genauso wie der schurkische Mönch aus der Ballade! Schließlich wußte jeder: Die Frauen in London waren sittenlos. Man denke nur, sich als Mönch in einer Stadt voller schamloser Frauenzimmer herumzutreiben! Da hatten nun der alte Lord und sein Ältester auf der ganzen Strecke von Cinque Ports bis zur schottischen Grenze zusammen mindestens zwanzig Bastarde gezeugt, die sie nicht anerkannten. Und jetzt, welch ein Spaß, jetzt hatte doch das kleinste Ferkel aus dem Wurf seinen Vater und seinen älteren Bruder noch übertroffen.

    Im Trubel der

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