Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
drum«, sagte er dann, »ich kann sie nicht im Kerker aufsuchen. Man gerät leicht selbst in Verdacht, wenn man mit einer Ketzerin Umgang hat.«
»Elender Feigling!« rief Lazarus. Tringin hielt ihn zurück und suchte ihn zu beruhigen.
»Feigling nennt Ihr mich? Was ich hier tue, ist dreimal wider das Gesetz, und doch bin ich gekommen. Ich stehe hier neben einer überführten Wiedertäuferin, der Ihr – ein Pulverschmuggler und Landfriedensbrecher – zur Flucht aus Köln verholfen habt. Ich pflege ein Mädchen, das sich gegen den Willen des eigenen Vaters als Bettlerin in Köln herumtreibt und mutwillig ihren Bräutigam verließ. Ich mache mich strafbar, weil ich sie nicht anzeige, nicht frage, wer ihr diese Wunde beigebracht hat. Nun nennt mich noch einmal Feigling, wenn Ihr es wagt!«
Lazarus wandte sich ab.
Der Feldhauptmann aber betrachtete mit zärtlichem Stolz seine Schwester. »Widersetzt sich dem eigenen Vater«, sagte er kopfschüttelnd. »Was für ein hübscher Teufelsbraten. Ich werde zu Rebecca gehen und um Rat fragen. Mir wird niemand einen Besuch bei der eigenen Tante vorwerfen.«
»Ich begleite dich«, sagte Lazarus entschlossen.
»Ein Landfriedensbrecher?« Melchior van Geldern schüttelte energisch den Kopf. »Das ist Mutwillen, kein Mut, mein Freund. Du bleibst.«
»Ich kann nicht tatenlos herumsitzen und Columba beim Sterben zuschauen.« Er griff nach seinem Degen.
Noch bevor er sich ganz gebückt hatte, traf ihn der Faustschlag Don Seraphs. Stöhnend ging er zu Boden und blieb bewußtlos liegen. »Hier, Herr Doktor, ein weiterer Casus. Beeil dich nicht zu sehr mit der Heilung. Ein oder zwei Stunden werde ich fort sein.«
»Freigelassen sagt Ihr?« Van Geldern lief unruhig hinter seinem Schreibtisch hervor und packte den Gewaltrichter beim Wams, schüttelte den mächtigen Mann, als wäre er ein Sack Hafer.
Der wehrte mit wütender Hand den alten Mann ab. »Jawohl, frei«, sagte er brüsk.
»Das kann nicht sein. Sie ist eine elende, widerwärtige Ketzerin!«
»Das Hohe Gericht hat anders entschieden, und das nach Anwendung der Folter. Hingegen soll ich nun der Schaffnerin nachstellen. Anna. Darum bin ich hier. Sie wohnt doch in Eurem Haus, nicht wahr?«
Der Kaufmann taumelte. Er fühlte alle seine Pläne wie Schneeflocken schmelzen. »Die Schaffnerin? Sie ist nicht hier! Wessen klagt man sie an?« Schreckliche Ahnungen stiegen in ihm hoch.
»Der Hexerei, soweit ich es verstanden habe. Man hat mich mit dem Fall betraut. Ich bin gekommen, um Euer Haus nach der abgängigen Person zu durchsuchen.«
Der Kaufmann erholte sich, richtete sich auf und schaute dem Gewaltrichter fest in die Augen. »Ich bezahle Euch einen hohen Lohn dafür, daß Ihr Rebecca hinter Gitter bringt, nicht diese Schaffnerin.«
Der Gewaltrichter war beleidigt. »Wollt Ihr mich etwa der Bestechlichkeit bezichtigen?« Drohend schaute er den Kaufmann an.
»Ihr nehmt meine Dukaten wie Birnen, elender Gierhals.«
»Noch ein Wort, und ich walte meines Amtes, werter Kaufherr. So hat noch nie jemand mit mir gesprochen. Und auch das höchste Gericht beleidigt Ihr. Was, wenn ich dem Greven davon Meldung mache, daß Ihr seine Verfahrensweise anzweifelt? So mächtig seid Ihr nicht, daß Ihr es mit dem Richter des Erzbischofs aufnehmen könnt. Und ich fürchte, Ihr werdet in nächster Zeit noch an Macht verlieren.«
Mit diesen Worten ließ er den Kaufmann stehen und polterte zur Tür. »Ich komme noch am Nachmittag mit meinen Bütteln zurück. Vom Dach bis zu den Kellern werden wir dieses Haus durchkämmen. Betrachtet diesen Aufschub als einen letzten Freundschaftsdienst.«
Er verschwand im Gang, ging federnd die Treppe hinab, erleichtert darüber, daß er, wie schon so oft, im rechten Moment die Seiten gewechselt hatte. Freilich war es schade, daß damit die sprudelnde Quelle versiegte, die van Geldern ihm gewesen war, aber er war nicht bange, andere zu finden, die ebensoviel Geld wie lästige Geheimnisse hatten.
Munter pfeifend durchquerte er den Hof und betrachtete entzückt einige Osterglocken, die im Wind mit den Köpfen nickten. Welch ein wahrhaft herrlicher Frühlingstag! Die Glocken schlugen zum Mittag, der Gewaltrichter freute sich auf eine Mangoldpastete. Seine Frau verstand es, trotz der Fastenzeit, immer ein paar Griebchen Speck hineinzuholen.
Doch beim Frankenturm empfingen ihn vier Männer der Kettenwacht, um von einem nächtlichen Feuer, von der Auflösung eines heimlichen Konventikels zu berichten.
»Gute
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