Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Leute«, beschied er die aufgeregten Männer, von denen er wußte, daß sie ihr aufregendes Wissen über Gebühr genossen. »Das hat Zeit bis morgen. Wenn doch alle Wiedertäufer, wie ihr sagt, euch entwischt sind.«
»Nicht alle«, warf einer schnell ein.
»Und wo ist die Person?«
»Sie liegt verkohlt und schwarz noch im Kelterhaus an der Severinstraße.«
»Von welchem Kelterhaus sprichst du?«
»Von dem des Herrn van Geldern!«
Vergessen war die Mangoldpastete, vergessen sogar die Speckgriebchen. »Eine tote Frau im Weingarten des Kaufherrn? Ich lasse sofort mein Pferd satteln. Es scheint, daß hier doch ein dringlicher Fall vorliegt.«
11
D u kannst unmöglich den ganzen Weg zu Fuß zurücklegen.« Besorgt betrachtete der Feldhauptmann Rebecca.
»Du weißt nicht, über welche Kräfte ich verfüge, seit ich dieses stinkende Loch verlassen habe«, antwortete die Tante und verbiß sich den Schmerz, den ihre wunden Fußsohlen ihr bereiteten. Er war geringer, als er es eigentlich hätte sein müssen, doch die Drogen, die sie genommen hatte, linderten die Schmerzen.
Sie waren eben an der Pforte angelangt, die aus der Immunität des Domhofes hinausführte. Der Neffe bat sie auszuruhen, Rebecca lehnte ab. »So schnell mich der Greve los sein wollte, so schnell will ich diesen Platz verlassen. Wie gut, daß du sagtest, Doktor Birckmann habe dich geschickt.«
»Das war nicht einmal gelogen.«
»Guter Birckmann, er mag Columba wirklich. Ich wünschte, wir wären schon bei ihnen.«
»Laß mich zu meiner Herberge gehen. Ich will mein Pferd holen. Das Gasthaus ist nicht weit von hier, auf dem Alter Markt.«
Rebecca schaute Melchior aufmerksam an. »Aus dem ungestümen Jüngling ist ein entschlossener Mann geworden, wie ich sehe. Ich habe es deiner Mutter immer gesagt, daß aus dir ein Kerl wird, auf den sie hätte stolz sein können.«
Der Feldhauptmann nickte ein wenig beschämt. Ein seltener Anblick, den keiner seiner Söldner jemals genossen hatte. »Wie, wie starb meine Mutter?« fragte er leise.
»Später will ich es dir erzählen. Später, Melchior. Nun erlaube mir, dich bis zum Alter Markt zu begleiten. Dort ist ohnehin der Apotheker, bei dem ich die Kräuter gegen das Fieber besorgen kann. Wenn alles erledigt ist, können wir gemeinsam reiten, falls du auch mir ein Pferd besorgen kannst.«
Sie stiegen zwei Stufen herab.
»Eine Frau in Beginentracht auf einem Pferd, sieht das nicht ein wenig merkwürdig aus?« meinte kopfschüttelnd Melchior.
»Besorge mir einen Esel, wenn dir das besser gefällt. Niemand wird sich über eine Begine wundern, die auf einem Eselsrücken einen Besuch bei den Stadtarmen macht.«
Melchior lächelte. »Du scheinst wirklich prophetische Gaben zu haben. Tatsächlich ist auch Tringins Eselchen im Stall der Herberge untergebracht.«
»Tringin! Sag nicht, daß auch sie unter der Mauer kampiert.« Melchior nickte. »Ja, sie ist so störrisch wie ihr Esel, keiner konnte sie davon abhalten, ihren Lazarus zu begleiten.«
Ihren Lazarus? Rebecca stutzte kurz, schwieg aber, dann sagte sie munter: »Was für eine Versammlung von ausgemachten Ketzern, zu der du mich da bringst.« Sie mußte lachen. »Wenn Galisius wüßte, wen ich dort alles treffe, kaum daß man mich aus dem Gefängnis entlassen hat, er würde mit bloßen Händen das Holz zum Galgenberg von Melaten schleppen, um uns alle brennen zu lassen.«
»Tante!« rief der Söldner neben ihr entsetzt. »Du trägst eine fromme Tracht, solche Witze stehen dir nicht an.«
»Glaube mir, mein lieber Melchior, die Tracht macht mich nicht fromm. Allein der Glaube zählt, darin muß ich diesem Aufrührer Luther inzwischen recht geben.«
Sie gingen eine Weile schweigend weiter durch die Gasse Unter Goldschmieden. Leises Hämmern und Klopfen begleitete ihre Schritte. Melchior räusperte sich. »Von Luther sprichst du, bist du am Ende zum Protestantismus übergewechselt?«
»Würde es dir etwas ausmachen? Wie ich sehe, trägst du spanische Tracht.«
Nun war es Melchior, der grinste. »Und bin zur Zeit doch als treuer Reisebegleiter der Frau von Oranien unterwegs, die schon als Protestantin getauft wurde. Nein, um ehrlich zu sein, ich halte es mit keiner Religion, denn auf dem Schlachtfeld, habe ich festgestellt, sterben sie alle gleich elend. Sogar die Muslimen verrecken so traurig wie der allererste Christ.«
»Ich verstehe.« Rebecca seufzte. »Und es mag sein, daß ich bald genau diesen Glauben annehme, nämlich daß Gott erhaben
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