Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
hatten. Handelte es sich um die gesuchte Hexe, so war es sicher nicht angebracht, sie in geweihter Erde zu bestatten.
Nachdenklich ging er zu seinem Pferd, das beim Tor friedlich graste. Seltsam, dachte er, daß dieses Weibsstück ausgerechnet im Garten van Gelderns verreckt war. Und ob sie nun den Feuertod verdient hatte oder nicht, ein ordentlicher Gerichtsprozeß hätte ihm vorausgehen müssen. Gewiß würde der Greve nicht zufrieden sein. Gewiß hätte er gerne einen Delinquenten in seinen Händen. Schon merkwürdig, wie viele Menschen im Umfeld des Kaufmanns van Geldern so starben.
Vielleicht ließe sich daraus ja doch noch ein ordentlicher Casus konstruieren ohne Mummenschanz und Hokuspokus, an den der Gewaltrichter ohnehin nicht recht glaubte. Ketzer hatte er schon viele gesehen und gehört, aber nie Weiber, die durch Schornsteine fuhren oder nachts auf dem Neumarkt tanzten. Wenn man es ihm befahl, wollte er gerne daran glauben, für sich im stillen aber fragte er sich, warum Weiber, wenn sie denn hexenmächtig wären, sich nicht einfach einen Topf von Gold herbeihexten und sich ein munteres Leben machten? Er jedenfalls würde es genauso halten. Erschrocken fuhr er zusammen und schlug ein Kreuz. Sein Magen knurrte. Auf welch unnütze Gedanken man mit hungrigem Magen doch kam.
13
J uliana saß weinend bei Melina im Garten. Die schwarze Zofe redete sanft auf sie ein, beinahe so sanft wie damals im Bad, als sie beide noch von den Wonnen der Engelssekte schwärmten. Sie sah mit Wohlgefallen und ehrlichem Mitleid, wie sehr die Herrin sich demütigte. Mit geschickten Fingern flocht sie einen Kranz aus grünen, biegsamen Weidenkätzchen und Osterglocken. Sie legte ihn Juliana in den Schoß. »Da«, sagte sie, »denkt an Eure Hochzeit. Ihr werdet bald den Brautkranz tragen. Zur rechten Zeit.«
Juliana hob traurig die Augen. »Wie kannst du mir von der Hochzeit sprechen?«
»Weil ich in den Augen des Junkers endlich jenes gierige Glitzern sah, als wir ihm eben im Korridor begegneten.«
»Selbst einer wie er ist zu schade für mich. Melina, ich habe getötet.«
»Der Diakon war ein schlechter Mann. Wir waren verblendet. Er sprach von Liebe und Tod.«
Juliana seufzte. »Selbst wenn du mich in diesem Punkt überzeugen könntest, so gibt es nichts, was mich über meinen Verrat an Columba hinwegtröstet. Die eigene Schwester habe ich an das Gericht geliefert. Es geschah aus tiefster Verzweiflung, gewiß, aber dennoch ... «
Melina legte ihre Hand auf Julianas. »Noch haben wir keine Nachricht von einer Verhaftung. Vielleicht ist nichts geschehen. Ihr wißt nicht einmal, ob Columba im Kelterhaus war.«
»Mertgin glaubt es. Seit Stunden sitzt sie in der Kapelle und betet, läßt niemanden an sich heran. Sie ist so traurig, als sei Columba bereits tot.«
Sie stand auf und lief unruhig den Weg zwischen den grünenden Hecken entlang. Maiglöckchen reckten schon ihre zarten Köpfchen aus dem Gras, der Flieder schlug bereits aus. »Wenn ich nur das Haus verlassen und zum Weingarten gehen könnte.«
»Verärgert Euren Vater nicht weiter. Es scheint, ihn quälen schlimme Sorgen, schlimmere als Eure Heirat mit dem Freiherrn.«
Juliana warf ihr einen schmerzerfüllten Blick zu. »Bei Gott, seine Sorgen sind schlimmer. Er muß um das Leben seiner jüngsten Tochter fürchten. Meine Eigensucht bringt ihn ins Grab. Ich habe das größte Unglück auf unser Haus herabgezogen.« Sie warf sich vor Melina in die Knie, versenkte ihren Kopf in deren Schoß und schluchzte.
Sanft strich die Zofe das blonde Haar.
»Ei, was sehe ich da, mein süßer Engel ganz in Tränen aufgelöst.« Lästig wie eine vorwitzige Hummel war die Stimme des Junkers Fritjof. Schon wollte Juliana den Kopf hochreißen, doch Melina hielt ihn mit sanfter Gewalt in ihrem Schoß.
»Wie sollte meine Herrin nicht weinen, Herr. Der Vater will ihr die Hochzeit nicht erlauben. Es zerreißt ihr das Herz.«
Gerührt sah der junge Flame auf die am Boden kauernde Juliana hinab. Mit derber Hand riß er ein Bündel Osterglocken aus der Erde. »Vielleicht trösten ein paar Blumen dich, mein süßer Engel.«
Juliana vergrub ihr Gesicht nun tiefer im Schoß der Sklavin. Melina nahm mit demütigem Lächeln die zerquetschten Blumen entgegen, die bereits schlaff in der Faust des Freiherrn baumelten.
»Eine reizende, zierliche Geste, fürwahr. Doch wie wäre es, wenn Ihr noch einmal ein Gespräch mit dem Vater wagtet? Ihr habt lange genug geduldig in diesem Hause
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