Die Visionen von Tarot
höchst subjektiv, daß er ein objektives Urteil für unmöglich hielt. Aber er mußte sich stellen, wenn er die anderen wiedergefunden hatte, ehe sich der Spalt zwischen den Animationen wieder schloß.
Die Gegend war ihm nicht vertraut. War er schon einmal hier vorbeigekommen? Er mußte während seiner Visionen beträchtlich weit herumgewandert sein – sicher war er viel gegangen und noch mehr gekrochen. Doch er mußte sich innerhalb eines Umkreises von wenigen Kilometern von seinem Ausgangspunkt und irgendwo im Nordloch befinden, ansonsten wäre er aus der Animation herausgelaufen. Vielleicht hatte er das sogar getan.
Vielleicht war es das beste, sich an der Sonne zu orientieren und auf direktem Kurs weiterzugehen. Sicher würde er einen Weg kreuzen, der ihn entweder zum Dorf oder einer anderen Ortschaft brachte. Das war eine Standardtechnik, wie man sie auch in Intelligenztests fand; daher war sie zwar suspekt, würde aber hier ausreichen.
Unvermittelt lichtete sich der Wald zu einer breiten, flachen Ebene. Er begann, sie zu überqueren, blieb aber stehen, als er Beton auf dem Boden entdeckte. Das war ja eine moderne Autobahn!
Nein – denn sie führte nirgendwo hin. Das Pflaster endete abrupt nach hundertfünfzig Metern weiter links. Eine Einbahnstraße, die aber in erstaunlich gutem Zustand war. Kein Unkraut drängte sich auf den Streifen. Was war wohl der Zweck einer solchen Straße hier auf dem Planeten Tarot?
Neugierig folgte er dem Band nach rechts. Nebelschwaden verhüllten den Weg, aber nach etwa einem Kilometer ragte ein Gebäude auf.
Erstaunt betrachtete er es. Das war ein Flughafenkontrollturm. Das war eine Rollbahn! Aber auf dieser primitiven Welt gab es keine Flugzeuge. Was hatte es wohl für einen Sinn?
Wie waren die Kolonisten an die Materialien gelangt, um eine derartig moderne Einrichtung zu schaffen? Sie hatten vielleicht die technologische Kapazität dazu, da theoretisch gesehen alles auf der Erde zur Verfügung stehende Wissen auch den Kolonieplaneten bekannt war, aber allein die Arbeit würde hier ruinös wirken. Diese Leute hatten kaum Energie genug, um ihre Häuser zu heizen, oder mehr Ressourcen, um gerade ihre Dörfer mit Palisaden gegen natürliche Feinde zu schützen. Und wenn sie Materialien besaßen, die sie vor ihm verborgen gehalten hatten? (Aber warum sollten sie ihn täuschen?) Sie bei etwas so Nutzlosem wie diesem Flughafen zu vergeuden, in einer Welt, wo es nicht einmal Autos gab, ganz zu schweigen von Flugzeugen – da war irgend etwas faul.
Ein Potemkinsches Dorf. Das könnte es sein – eine grandiose Imitation, eine Fassade, ein Denkmal für die eventuelle Zukunft des Planeten. Aber in welchem Maßstab!
Neugierig geworden, schritt Bruder Paul auf das Gebäude zu. Es war riesig, umgeben von Asphaltbändern, Parkplätzen, Zufahrtsrampen und kleineren Terminals. Alles befand sich an seinem richtigen Platz. Autos und Flugzeuge sahen absolut echt aus, genau wie vor etwa einer Dekade auf der Erde, so daß der Anblick Bruder Paul ein fast schmerzhaft nostalgisches Gefühl vermittelte. Die Grünanlagen waren gut gepflegt, und ein schöner Springbrunnen verspritzte seinen Wasserstrahl auf vorgegebene, künstliche Art.
Menschen gingen ein und aus, genau wie auf der Erde, und ein jeder war auch entsprechend gekleidet, ein jeder ging seinen eigenen Geschäften nach. Bruder Paul stieß vor dem Haupteingang auf die Menschenmenge, im Vertrauen darauf, daß seine Gegenwart nicht stören würde. Seine Kutte im Stil des Heiligen Ordens der Vision paßte ohnehin fast immer. Er war neugierig, ob das Innere des Gebäudes ebenso stimmig war wie das Äußere.
Das traf zu. Unwahrscheinlich lange Rolltreppen beförderten die Menschen auf die verschiedenen Ebenen. Lautsprecher bellten unverständliche Silben. Vor den Ticketschaltern bildeten sich kurze Schlangen. Wenn sich die Menschen vor den markierten Abfahrtsschaltern drängten, summten die Geräte bei denjenigen auf, die Metall bei sich trugen. Diese Reproduktion war absolut perfekt – kein Detail schien vergessen worden zu sein.
Eine Hand zerrte an seinem Gewand. „Komm, Daddy – sonst verpassen wir noch das Flugzeug.“
Erstaunt blickte Bruder Paul auf ein kleines Mädchen, das sich an seine Hand klammerte. Sie war acht oder neun Jahre alt, hatte blaue Augen und zwei blonde Zöpfe. „Schnell, Daddy!“ drängte sie ihn.
„Kleine Dame, du scheinst mich zu verwechseln“, sagte er und widerstand ihrem Drängen.
Sie blieb
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