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Die Visionen von Tarot

Die Visionen von Tarot

Titel: Die Visionen von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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Erleichterung neben dem Brunnen nieder. Die Zunge fuhr über seine ausgetrockneten Lippen. Er war durstig. Er stand auf und beugte sich über den Rand des Brunnens. Der Wasserspiegel lag zu tief, um ihn mit bloßer Hand erreichen zu können. Es gab zwar ein Seil, aber keinen Eimer. Es gab für ihn keine Möglichkeit, Wasser zu schöpfen, es sei denn, er spränge hinein – was aber dumm wäre, denn er würde nicht wieder hinausklettern können (Durst stillen oder überleben). Resigniert kehrte er an seinen Platz zurück und setzte sich wieder.
    Die Sonne brannte direkt über ihren Köpfen herab. Jesus saß allein mit gesenktem Blick da. Wieder fuhr seine Zunge über die ausgedörrten Lippen. „Seine Jünger sind in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen“, erklärte Therion.
    Nun kam eine Frau zum Brunnen. Sie trug ihren Wasserkrug: ein großes irdenes Gefäß mit zwei gebogenen Henkeln und mit alten Mustern verziert. Sie war jung, und ihre Gestalt ähnelte dem Umriß des Kruges. Sie trug ein ausgeblichenes blaues Gewand und einen braunen Schal, der vor der Brust zusammengebunden war. Ein Kopftuch fiel über die Schulter bis hinab zur Taille. Die zierlichen Füße waren durch so etwas wie Sandalen geschützt, eigentlich bloße Lederbänder um Verse und Zehen. Vielleicht war sie eine Frau von schlechtem Ruf, aber sie wirkte schon sehr einnehmend. Natürlich war es für eine normale hausbackene Frau viel einfacher, einen guten Ruf zu haben. Bei ihr stand nicht ständig die Verführung auf der Schwelle.
    „Amaranth“, murmelte Bruder Paul. Jede Animationsszene war anders, doch die Hauptcharaktere waren einander immer ähnlich. Aber man würde Amaranth nicht gestatten, ihre normale Sirenenrolle hier vorzuführen.
    Fröhlich sprang die Frau die Stufen hinab, blickte Jesus flüchtig an und ignorierte ihn. Sie bückte sich über den Brunnen, nahm das lose Ende des Seils, band es durch ein Loch in ihrem Krug und ließ diesen vorsichtig hinab. Als die Luft heraussprudelte, hörte man es vernehmlich gurgeln.
    Jesus wachte aus seiner Verträumtheit auf. „Bitte, gib mir einen Schluck Wasser“, sagte er.
    Überrascht blickte die Frau ihn an. „Bist du nicht ein Jude? Aus Galiläa?“ Der Akzent und das Gewand machten sowohl seine Herkunft als auch seinen Stand leicht identifizierbar.
    Jesus nickte. „Auch Juden haben Durst und auch die aus Galiläa.“
    „Du, ein Jude, bittest eine Samariterfrau um einen Schluck Wasser? Dein und mein Volk haben nichts miteinander gemein.“ Doch irgendwie fühlte sie sich geschmeichelt, zog den vollen Krug hinauf und gab ihm einen Schluck. In dieser Trockenheit war die Geste des Wassergebens von grundsätzlicher Natur.
    Jesus nahm einen tiefen Schluck. Schließlich gab er ihr den Krug zurück und wischte den Bart trocken. „Wenn du nur um das Gottesgeschenk Wasser wüßtest und auch über den, der es erbeten hat, dann hättest du ihn um lebendiges Wasser gebeten.“
    „Was für ein Hochstapler“, bemerkte Therion lobend. „Da hat er sie aber bei ihrer Neugier gepackt. Er wäre ein guter Marktanpreiser.“
    Bruder Paul unterdrückte seine Reaktion darauf, weil er wußte, daß Therion ihn lediglich reizen wollte.
    Die Frau am Brunnen lächelte großzügig, während sie den Krug wieder ins Wasser senkte. „Du hast weder Krug noch einen tiefen Brunnen – wo willst du denn dein lebendiges Wasser herbekommen? Hältst du dich für größer als Jakob, der uns diesen Brunnen geschenkt hat?“
    Jesus, erfrischt durch den Trank und die Rast, erwiderte ihr Lächeln. „Jeder, der vom Wasser dieses Brunnen trinkt, wird wieder Durst bekommen, doch wer jemals von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, der wird nie wieder Durst leiden.“
    Sie setzte den randvollen Krug ab und band das Seil los. „Gut. Ich nehme das Angebot an, Jude. Gib mir von diesem lebendigen Wasser.“
    Jesus senkte die Hand bis an die Gürtellinie, wo sich durch das Gewand abzeichnete, was sich ihr dort entgegenstreckte. „Und dein Mann?“
    Einen Moment lang riß sie die Augen auf, als sie sein Angebot begriff. „Ich habe keinen Mann.“
    „Gut gesprochen“, erwiderte Jesus, nahm sie bei den Ellenbogen und zog sie an sich. „Du hast viele Männer gehabt, aber einen jeden nur für eine Nacht. Nun kannst du einen für einen Tag haben.“
    Sie blickte sich um, um sicherzugehen, daß sich von der Stadt her niemand näherte. „Ich sehe, du bist ein Prophet.“ Sie bot ihm ihre Lippen zu einem Kuß.
    „Frau, glaube mir,

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