Die Voliere (German Edition)
direkt vor ihr eine schnörkellose Gittertür.
»Morgen, Doktor Albrecht«, ertönte eine Stimme aus dem Lautsprecher an der Pforte. Mit einem Schnarren sprang das Gitter auf. Der Kavalier schob mit seinem Arztkoffer das Tor auf und schritt hindurch. Nora sah ihm nach. Er drückte die Gittertür von innen zu. Dabei blieb sein Blick an Noras hängen, ein Lächeln auf seinen Lippen. Der Blickkontakt währte ein paar Sekunden länger als Nora angemessen fand. Sie verspürte ein Kribbeln im Nacken.
Die schnarrende Stimme war abermals zu hören. »Sie wünschen?«
»Nora Winter vom ZPD der hessischen Polizei. Ich habe einen Termin mit der Anstaltsleitung.«
Wortlos wandte sich der Pförtner ab und griff zum Telefon.
»Es kommt jemand. Einen Augenblick bitte«, teilte er ihr Sekunden später mit.
Als Nora wieder zum Gitter blickte, war der Doktor verschwunden.
*
Broussier sah Nora ungläubig an. »Sie möchten die Zellen sehen? Bevor Sie mit den Häftlingen sprechen?«
Schon beim Betreten des Büros von Gefängnisdirektor Dr. Rauch war ihr der unverwechselbare Duft in die Nase gestiegen. Ihre Ahnung, wem die dunkle Limousine gehörte, die sie auf dem Parkplatz gesichtet hatte, bestätigte sich, als sie Broussier in einem Besuchersessel entdeckte. Er war damit beschäftigt, auf seinem iPad herumzuhämmern.
Der Referent sah ratsuchend zu Dr. Rauch, dem Direktor der JVA Schwalmstadt. Der zuckte mit den Schultern.
»Ich muss in eineinhalb Stunden den Innenausschuss leiten.« Broussier legte eine bedeutungsschwere Pause ein. »Ich fürchte, für solche Besichtigungstouren fehlt mir die Zeit.«
Nora räusperte sich. »Ich glaube nicht, dass Ihre Anwesenheit erforderlich ist, Herr Broussier.«
»Doktor Broussier hat das Thema zur Chefsache erklärt«, warf Rauch ein, bemüht, sich seine Belustigung nicht anmerken zu lassen.
Kam es Nora nur so vor, oder wirkten die Wände des Büros mit einem Mal erdrückend? Die ganze Sache wurde ihr entschieden zu politisch, noch bevor sie richtig angefangen hatte.
»Ich denke, es gibt auch ein logistisches Problem, nicht wahr, Doktor Rauch? Wo sollen wir die Subjekte unterbringen, während Frau Winter die Zellen besichtigt?«
Bevor Nora Broussier darauf hinweisen konnte, was für einen Unsinn er von sich gab, weil Sicherungsverwahrte innerhalb ihres Trakts ohnehin Bewegungsfreiheit genossen, schritt Rauch beschwichtigend ein.
»Das bekämen wir schon irgendwie hin.«
Broussier sah auf seine teure Armbanduhr und stieß einen Seufzer aus. Ein Vater, der seiner Tochter zum hundertsten Male die Regeln erklärt. »Frau Winter, diese Männer müssen freigelassen werden, mit oder ohne Gutachten. Sprechen Sie mit den Leuten, sehen Sie die Akten durch, aber machen Sie in Gottes Namen schnell. Ich verlasse mich darauf, dass diese Formsache ohne großes Trara über die Bühne geht.«
Eine Formsache also. Sie beschloss, sich gar nicht erst auf eine Diskussion mit dem Giftzwerg einzulassen.
»Herr Rauch, von den drei Männern ist bisher keiner in den Genuss irgendwelcher Entlassvorbereitungen gekommen? Freigang, Kontakte nach draußen – nichts?«
»Wir sind bis zur Entscheidung des EuGH davon ausgegangen, dass diese Leute das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen.«
Und darum habt ihr jegliche therapeutischen Bemühungen eingestellt und die Männer sich selbst überlassen, zog Nora gedanklich die Konsequenz. Sie richtete sich bereits darauf ein, den Trakt der Sicherungsverwahrung als einen hoffnungslosen Ort vorzufinden, ähnlich hoffnungslos wie eine geschlossene psychiatrische Anstalt.
»Diese Entscheidung ist zwei Jahre alt, Herr Rauch.«
»Leider fehlen uns für derlei Aktivitäten die Ressourcen.«
Nora verschlug es zunächst die Sprache. Mit jedem neuen Gespräch über dieses Thema verfestigte sich ihr Eindruck, fehlendes Geld und Personal müsse für alle möglichen Versäumnisse herhalten – gerechtfertigt oder nicht.
»Also, mit welcher Zelle fangen wir an?«, wechselte sie demonstrativ das Thema.
Auf Broussiers hoher Stirn erschien eine Zornesfalte. Er zwirbelte nachdenklich den Anstecker an seinem Revers. Nachdem das Parteiabzeichen eine volle Drehung vollführt hatte, beschloss er, Nora zu ignorieren und hämmerte wieder auf seinem Spielzeug herum.
*
Nora sah sich um. Sieben Quadratmeter Einzelzimmer, das einvernehmliche Minimum für Strafgefangene einer deutschen Justizvollzugsanstalt, und etwa die Hälfte der von einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe
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