Kalymnos – Insel deines Schicksals
1. KAPITEL
Wie jedes Jahr unterhielt sich die vornehme Gesellschaft, die sich zur Gartenparty im Park von Mrs. Leighton-Forbes' Anwesen eingefunden hatte, über den neuesten Klatsch und Tratsch. In diesem Jahr standen Sir Geoffreys jüngste Affäre und Alastair Veitrovers'
und Lavinia Jarrows bevorstehende Hochzeit im Mittelpunkt des Interesses.
Mit einiger Skepsis verfolgte Julie Veitrovers das Tuscheln, denn auch ihr galt manch neugieriger Blick. Schließlich war sie nicht nur Alastairs Cousine und Mündel seines Onkels, sondern darüber hinaus eine wunderschöne junge und schlanke Frau mit goldblondem Haar.
Umso mehr freute sie sich, als sich Lavinia und Cheryl zu ihr gesellten. Der Vorschlag, den die beiden ihr unterbreiteten, gefiel ihr allerdings weniger gut, denn sie wollten zu der Wahrsagerin zu gehen, die Mrs. Leighton-Forbes wie jedes Jahr als Teil des Unterhaltungsprogramms eingeladen hatte. Und wie jedes Jahr ging der Erlös an einen wohltätigen Zweck.
Widerwillig folgte Julie den Freundinnen zum Zelt, in dem die Wahrsagerin ihren Stand hatte. Dort angekommen, warfen sie eine Münze. Das Los fiel auf Cheryl, die als Erste das Zelt betrat.
„Das war wohl nichts", stellte sie enttäuscht fest, als sie nach fünf Minuten wieder zu ihren Freundinnen trat. „Sie hat mir nichts erzählt, was ich nicht schon wusste. Außerdem konnte ich sie kaum verstehen. Ihr Englisch ist einfach grauenhaft."
„Ich werde es trotzdem riskieren." Lavinia war schon ganz ungeduldig. „Vielleicht sagt sie mir ja was über Alastair." Julie nickte ihr aufmunternd zu, und Lavinia verschwand in dem Zelt.
„Die Kleine hat es so richtig erwischt", sagte Julie nachdenklich. „Hoffentlich ist sich mein Cousin seiner Verantwortung auch bewusst."
Cheryl schien ihre Bedenken nicht zu teilen, denn sie schnitt ein anderes Thema an.
Aber schon nach sehr kurzer Zeit kam Lavinia zurück, und die Enttäuschung stand ihr im Gesicht geschrieben. „Sie scheint wirklich eine Hochstaplerin zu sein", schimpfte sie.
„Wenn das so ist, kann ich mir das Geld auch sparen", beschloss Julie.
„Nichts da!" protestierte Lavinia. „Wer weiß, vielleicht erzählt sie ja wenigstens dir irgendetwas Interessantes."
„Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich", erwiderte Julie kühl.
„Sei keine Spielverderberin", drängelte jetzt auch Cheryl. „Außerdem ist das Geld für einen guten Zweck."
„Also gut", willigte sie schließlich ein und trat durch den Vorhang. Im Dämmerlicht konnte sie eine ältere Frau erkennen, die sie mit ihren dunklen Augen musterte.
„Nehmen Sie bitte Platz", forderte sie Julie auf. Julie fröstelte ein wenig. Diesem Blick schien nichts zu entgehen. Dann richtete die Wahrsagerin all ihre Aufmerksamkeit auf die Kristallkugel, die auf einem Tisch zwischen ihnen stand.
Julie nutzte die Gelegenheit, um die Frau näher zu betrachten. Sie trug mehrere goldene Armreifen und Kettchen und drei Ringe. Einer davon stach Julie besonders ins Auge. Es handelte sich um einen Siegelring, der mit einem Zeuskopf geschmückt war.
Vielleicht war die Frau ja Griechin.
So wäre auch ihr schlechtes Englisch zu erklären. Denn wie Cheryl gesagt hatte, war sie tatsächlich kaum zu verstehen. „Du fast neunzehn Jahre. Bald reicher Mann."
Plötzlich löste sie den Blick von der Kristallkugel und legte ein aufgeschlagenes Exemplar der Country Gazette auf den Tisch. Obwohl die Illustrierte nicht mehr neu war, erinnerte sich Julie an das Foto, auf das die Wahrsagerin jetzt zeigte, nur zu gut.
Schließlich war sie selbst darauf abgebildet, wie sie aus Edward Holmes-Furbishleys Hand einen Siegerpokal entgegennahm, den sie auf einem Reitturnier gewonnen hatte.
Am besten konnte sich Julie aber an die Bildunterschrift erinnern: „Gerüchte besagen, dass Mr. Holmes und Julie Veitrovers bald heiraten wollen."
„An dem Gerücht ist nichts dran", wandte Julie energisch ein, um sich die Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Aber was hatte die Wahrsagerin denn bislang schon gesagt?
Bis auf ihr Alter nichts Konkretes, und das war nicht schwer zu raten.
Als wollte sie sich noch einmal vergewissern, blickte die Frau erneut in die Kristallkugel. „Nicht der", sagte sie schließlich und zeigte auf das Foto. „Und keiner da draußen." Sie bemühte sich, so verständlich wie möglich zu sprechen. „Dein Schicksal vor zehn Jahren entschieden. Du ihm folgen, sonst..."
Es fiel Julie nicht leicht, den Rest der seltsamen Weissagung zu verstehen,
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