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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Mutter hatte. Es klang wenig glaubwürdig. Nachdem die Kollegen ihm auf den Zahn gefühlt hatten, gab er zu, dass sein Onkel Henk ihn dort versteckt hatte. Henk Wawerzinek war Kiefers Handlanger.« Gideon zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
    »Manche Leuten schrecken vor nichts zurück«, bestätigte Nora.
    »Wir haben außerdem Fallen im Wald gefunden. Die Experten sagen, ganz ähnliche hätten die Vietcong im Vietnamkrieg benutzt. Wir nehmen an, sie wollten die Männer ursprünglich wie Freiwild hetzen, aber dann liefen die Dinge aus dem Ruder. Wawerzinek ist den Kollegen vom Verfassungsschutz bekannt. Ich glaube, wir stehen erst ganz am Anfang.«
    Nora schlug den Kragen hoch, ein eisiger Wind pfiff die Adickesallee herunter. Gideon küsste sie freundschaftlich auf die Wange.
    »So wie wir beide«, sagte er.
    Sie sah ihn verwirrt an.
    »Dein Bus kommt.«
    Nora spähte über die Schulter. Der Zweiunddreißiger rollte an. Sie löste sich aus Gideons Griff und lief zur Bushaltestelle. Als sie auf ihrem Platz saß und aus dem Fenster schaute, verschwand Richter durch die große Glastür des Hauptportals im Gebäude.
    Zwei Minuten später meldete ihr Handy den Empfang einer neuen SMS von Gitte.
    tbc – to be continued
    Freitag, 6. Dezember
    Die ganze restliche Woche war Nora um das Telefon herumgeschlichen. Ceyda schwankte zwischen Spott und Mitleid, wenn sie sich nicht gerade selbst bedauerte, weil Gideon ihr kleines Techtelmechtel beendet hatte. Es hatte Nora Überwindung gekostet, Bruno anzurufen. Am Telefon hatte er hoffnungsvoll geklungen und so tat es ihr doppelt leid, dass dies ihr letztes persönliches Gespräch sein würde. Aber sie wollte bei dem Gedanken an das Ende dieser Beziehung, wenn man ihre Affäre überhaupt so nennen konnte, nicht immer den Scheelbacher Forst, Rosen mit der blutgetränkten Axt und den Feuerschein der brennenden Schreckenmühle vor Augen haben.
    Trotz des schneidenden Windes standen beide nun auf Brunos Terrasse und sahen hinüber auf das von kahlen Platanen gesäumte Museumsufer, während der Main schmutzig braun und träge dahinfloss.
    Nichts erinnerte mehr an die Unbeschwertheit und Betriebsamkeit, die zur Sommerzeit am Ufer herrschte. Links von ihnen ragte vor einem gelblich grauen Himmel der Westhafen-Tower auf, der mit seiner rautenförmig segmentierten Vollverglasung einem gigantischen Apfelweinglas glich.
    Nora nippte an dem heißen Tee, den Bruno für sie aufgebrüht hatte, um der Kälte zu trotzen. »Du hast in Scheelbach gesagt, das mit mir wäre nicht nur Mittel zum Zweck gewesen.«
    »Das meinte ich auch so.«
    »Trotzdem möchte ich, dass wir die Sache beenden. Unsere Beziehung hat keine Zukunft.«
    Er schlürfte seinen Tee und schwieg eine Weile. Dann nickte er. »Ich hatte so etwas schon erwartet. Es tut mir leid, Nora.«
    Sie ließen sich den Wind um die Ohren wehen und hingen ihren Gedanken nach.
    »Bist du froh, dass er wieder eingesperrt ist?«, fragte Nora schließlich.
    »Rosen? Der ist mir egal.«
    Die Antwort überraschte Nora. »Er ist dir egal?«
    Bruno sah sie an. »Als ich zum ersten Mal in die JVA ging, mit dem Vogelkäfig unter dem Arm, in der Absicht, sein Vertrauen zu gewinnen, war es beinahe unerträglich für mich, ihn auch nur anzuschauen. Die Vorstellung, mit dem Mann, der Katharina möglicherweise getötet hatte, im gleichen Zimmer zu sitzen, bereitete mir Übelkeit. Nur der Gedanke daran, dass er mich eines Tages zu ihr führen würde, hielt mich aufrecht. Aber je länger ich mit ihm zu tun hatte, desto mehr trat dieser Gedanke in den Hintergrund. Er …« Brunos Stimme setzte kurz aus. »Wenn man mit Ungeheuern kämpft, muss man aufpassen, dass man nicht selber eines wird«, fuhr er fort. Er lachte auf, als wunderte er sich über sich selbst. »Komm mal mit, ich möchte dir etwas zeigen.«
    Er führte sie in sein Arbeitszimmer, zog aus einer Regalwand einen Ordner heraus, der mit K., 1987/ IV beschriftet war, und legte ihn auf den Schreibtisch. Er blätterte geraume Zeit darin, dann fand er, was er gesucht hatte: ein Foto von Rosen als junger Mann vor dem Gebäude des Frankfurter Landgerichtes. Einer anderen Mappe, die ebenfalls im Regal stand, entnahm er ein Foto, das Rosen im Hof der JVA zeigte, scheu in die Kamera lächelnd. Dieses Foto war laut Datum weniger als ein Jahr alt.
    »Irgendwann lagen diese beiden Bilder auf meinem Schreibtisch nebeneinander, so wie jetzt – es mag Zufall gewesen sein oder Schicksal oder die Hand Gottes.«
    Nora

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