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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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trösten.
„Ich meine, es ist nicht so schlimm, wie wenn Sie krank würden.“
    „Sie war nur dazu da, um uns eine
Atempause zu geben, und die kann man in unserem Akt gut brauchen. Übrigens —
ich glaube, Sie können sich das nicht vorstellen, wenn Sie sie jetzt so sehen —
Ma macht ihre Sache sehr gut. Sie hat ein hübsches Lächeln und so eine gewisse
Art, irgend etwas Nettes in den Augen, wissen Sie. Sie würden überrascht sein,
zu hören, wieviel Applaus sie bekommt.“
    „Erfahrung“, sagte Julia etwas
zweideutig. „Können Sie nicht im Theater einen Ersatz für sie finden?“
    „Schon möglich, aber die Zeit ist sehr
knapp, und sie mögen es nicht, wenn jemand Umstände macht. Es hat keinen Zweck,
sich darüber zu ärgern. Wenn sie sich gut genug fühlt, ist es gut, und wenn
nicht —“
    „Und wenn nicht, werde ich Ihnen eben
aus der Klemme helfen müssen“, sagte Julia.
    Die Worte waren kaum über ihre Lippen
gekommen, als sie sich klar wurde, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Es gibt
Situationen, in denen man seine Hilfsbereitschaft etwas bremsen muß, und dies
war so eine Gelegenheit. Wenn man im Begriff war, zu seiner Tochter zu fahren —
jedenfalls, wenn man im Begriff stand, zu so einer Tochter zu fahren wie Susan
—, dann sollte man nicht in geliehenem Trikot Seitensprünge machen. Aber Fred
ergriff bereits ihre Hände mit nahezu überschwenglicher Dankbarkeit, und eine
eigentümliche Erregung übertrug sich von seinen Fingern auf die ihren. Es war
die aufregende Spannung der Bühnenluft, der Reiz, auf der anderen Seite des
Vorhangs zu stehen. So lange Zeit war er ihr fremd gewesen, und so bitterlich
hatte sie ihn, wie ihr jetzt plötzlich klar wurde, entbehrt. Nur dieses eine
Mal, sprach Julia zu sich selbst. Nur dieses eine letzte Mal, bevor ich zu alt
dazu bin.
    So kam es, daß Julia, anstatt bis zur
Gare de Lyon weiterzufahren, an der Gare du Nord ausstieg.
     
     
     

4
     
    A uf einem Stuhl vor dem zu kleinen
Garderobenspiegel stehend, musterte Julia mit kritischem Blick ihre Beine. Es
war so lange her, seit sie sie im Trikot gesehen hatte, daß sie zugleich ein Gefühl
der Neugier und der Besorgnis empfand — zumal Ma’s Trikot ihr viel zu groß war.
Aber wenn Mrs. Genocchio auch ziemlich korpulent war, so war sie doch klein und
das Gewebe sehr elastisch. Durch behutsames Zerren hatte Julia einen ihrem
Wuchs entsprechenden Grad von Straffheit erreicht, und das Bild, das sie nun im
Spiegel vor sich sah, beruhigte ihre Zweifel. Auf den fünf Zentimeter hohen
Absätzen ihrer silbernen Abendschuhe ruhend, wuchsen ihre Beine kräftig und
wohlgeformt bis zu dem dreieckigen Höschen aus Silberbrokat empor; und wenn sie
auch nicht ganz dem Schönheitsideal eines Mannequins entsprachen, so besaßen
sie doch fraglos einen eigenen Reiz.
    „Männer machen sich sowieso nichts aus
Streichholzbeinen“, sagte Julia selbstzufrieden.
    Mit einiger Vorsicht, wegen der hohen
Absätze, stieg sie von dem Stuhl, hinunter und nahm jetzt ihren Oberkörper in
Augenschein. Er war mit einem Leibchen, schwarz wie das Trikot und ebenso tief
ausgeschnitten und eng anliegend wie ein Badeanzug, und mit einem kurzen, losen,
silbernen Jäckchen bekleidet. Ein Kopfputz aus schwarzen Straußenfedern, die
von einer silbernen Tiara gehalten wurden, vervollständigte das Kostüm; und wer
immer es entworfen haben mochte, dachte Julia, mußte einen guten Geschmack
besitzen.
    Es klopfte an die Tür; sie sprang vom
Spiegel fort und nahm eine ungezwungene Stellung ein, um sich in möglichst
vorteilhaftem Licht zu zeigen.
    „Ich bin es, Fred“, rief Mr. Genocchio.
    „Herein!“ rief Julia.
    Ihr Herz schlug plötzlich sehr schnell.
Wenn sie ihm nun nicht gefiel? Wenn er sie zu... zu dick fand? Mit heftigem
Abscheu dachte sie an all die französischen Süßigkeiten, die sie je gegessen
hatte. Warum hatte sie sie nur gegessen, obwohl sie gewußt hatte, daß es ihr
Ruin sein würde? Einmal hatte sie Mt. Macdermot zu Gefallen vier Eclairs
hintereinander gegessen... Er hätte sich schämen sollen, dachte sie ärgerlich;
und falls ihre Erregung übertrieben erscheint, so muß man ihr zugute halten,
daß sie immer nur dem Augenblick lebte und dieser Augenblick einzig Fred
gehörte.
    Ihre Besorgnis war jedoch überflüssig.
Freds Gesicht, wie er da in der Tür stand, erschien vor lauter Bewunderung
geradezu blöde.
    „Sie sehen wundervoll aus“, sagte er
schließlich.
    „Sie auch“, sagte Julia ernsthaft.
    Denn keine

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