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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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um nichts gekümmert.
In ihrer Art ein nettes Mädchen, sehr willig und aufmerksam, aber immer mit
einer Miene, als ob sie nur halb lebendig wäre... und dann war sie aus freien
Stücken fortgegangen und hatte sich niemals wieder blicken lassen! Sie mußte
also irgend etwas in sich gehabt haben, was in Barton unterdrückt worden war
und die Atmosphäre dort als feindlich empfand. Mrs. Packett überlegte. In ihrer
eigenen Jugend, bevor sie verheiratet wurde, hatte sie oft davon geträumt, ein
selbständiges Leben zu führen und Spaniels zu züchten: waren Julias Gedanken
dieselben Wege gegangen? Allem Anschein nach hatte sie sich nicht wieder
verheiratet; aber was hatte sie mit den siebentausend Pfund angefangen? Einfach
nur so von den Zinsen gelebt? Ich an ihrer Stelle, dachte Mrs. Packett lebhaft,
hätte irgendein nettes kleines Geschäft aufgemacht. Vielleicht hatte Julia das
getan. Vielleicht verließ sie gerade jetzt eine Teestube, ein Hutgeschäft oder
einen Blumenladen. Und wenn das der Fall war, konnte man nur hoffen, daß sie
eine tüchtige Kraft hatte, der sie vertrauen konnte.
    Mrs. Packett döste ein wenig, regte
sich und wachte wieder auf. Die Villa war sehr ruhig, genau wie das Dorf zu
ihren Füßen, und durch das offene Fenster drang eine Welle süßen Piniendufts
herein.
    Etwas Erholung wird ihr gut tun, dachte
die alte Mrs. Packett; denn irgendwie war ihr während ihres Schläfchens die
feste Überzeugung gekommen, daß Julia eine Konditorei eröffnet hatte. Sie
würden sich ausführlich darüber unterhalten. Wahrscheinlich besaß Julia alle
möglichen neuen Rezepte, und wenn es ihnen gelang, Anthelmine aus der Küche zu
vertreiben, könnten sie sie sogar hier ausprobieren...
    „Käsetaschen“, murmelte Mrs. Packett;
und mit diesem angenehmen Gedanken schlief sie endgültig und friedlich ein.
     
    *
     
    Unterdessen erhielt Julia in der Taxe
auf der Fahrt vom Casino zur Gare de Lyon einen Heiratsantrag. Feurig, wenn
auch ehrerbietig (Julia mußte ihn immerhin mit ihrem Ellbogen von sich
abwehren), trug Fred Genocchio ihr seine Hand, sein Herz, sein Geld auf der
Bank und seine Villa in Maida Vale an.
    „Bleib hier!“ beschwor er sie. „Bleib
hier, wo du hingehörst, Julie, und wir werden heiraten, sobald es nur geht.
Sobald die Woche vorüber ist, können die anderen zurückfahren, und wir werden
richtige Flitterwochen haben. Du bist der Glanzpunkt unseres Programms, Julie,
du bist dafür geboren, und ich will dich so sehr! Und du willst mich auch,
Julie, du weißt, daß du es tust!“
    Sie wollte ihn. Sie ließ den Arm sinken
und gab sich für eine lange Minute dem atemberaubenden Gefühl der Umarmung
eines Trapezkünstlers hin. Die Bewegung des Wagens warf sie von einer Seite auf
die andere. Beide, erst Julia, dann Fred, wurden sie mit dem Rücken heftig
gegen die Polster geschleudert, aber beide bemerkten sie es nicht einmal.
    „Du bleibst hier“, sagte Fred.
    Seine Stimme brach den Zauber. Julia
öffnete die Augen, ihr Blick irrte über seine Schulter hinweg umher und blieb
auf zwei weißen Flecken in der Dunkelheit haften. Das waren die
Anhänge-Adressen ihrer Koffer, auf die sie erst vor vierundzwanzig Stunden in
London geschrieben hatte: Les Sapins, Muzin, près de Belley, Ain.
    „Ich kann nicht!“ rief Julia. „Ich muß
zu meiner Tochter fahren.“
    Sie rückte von ihm ab und fühlte, wie
Fred neben ihr erstarrte.
    „Deine Tochter braucht dich nicht so
sehr wie ich!“
    „Doch, Fred! Sie ist unglücklich und
hat Kummer und erwartet mich. Jahrelang hat sie nicht nach mir verlangt —“
    „Dann wird sie jetzt auch ohne dich
auskommen können, Julie, Liebling —
    „Nein“, sagte Julia.
    Ihre Qual war mindestens ebenso groß
wie seine. Zu wissen, daß er litt und verzweifelt war, und daß sie mit einem
einzigen Wort alles wiedergutmachen konnte, erfüllte sie mit einem so heftigen
Schmerz, daß sie kaum zu atmen vermochte. Es lag ihrer Natur nicht, sich etwas
vorzumachen. Wenn sie mehr Liebhaber gehabt hatte als die meisten anderen
Frauen, so rührte das zum großen Teil daher, daß sie es nicht ertragen konnte,
einen Mann traurig zu sehen, wenn es so leicht war, ihn glücklich zu machen.
Ihre Sinnlichkeit bestand zur Hälfte aus Mitleid. Sie konnte die Männer nicht
kurz halten, vermutlich hatte deshalb auch nur einer von ihnen sie geheiratet.
Und jetzt — wie bitter war es doch — als Fred sie auch heiraten wollte, mußte
sie ihn abweisen...
    „Warte!“ bat sie. „Warte, bis

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