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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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glaube,
ich werde Spazierengehen.“
    Aber wie die meisten alten Leute hörte
Mrs. Packett nur das, was sie interessierte. „Was für Butter nimmst du dazu —
gesalzene oder frische?“
    „Frische“, entgegnete Julia.
    „Ich nehme immer gesalzene“, sagte Mrs.
Packett. „Ich werde mal welchen für dich machen, und dann werde ich dir auch
die Käsetaschen zeigen.“
    „Das wäre reizend von dir“, sagte
Julia.
    „Und Mandelplätzchen. Ich finde immer —“
    „Zu lieb“, sagte Julia. „Ich bin dir ja
so dankbar, ich weiß ja, wie geschickt du bist. Ich glaube, ich mache mal einen
ordentlich langen Marsch.“
    Das Wiederauftauchen von Anthelmine war
ihre Rettung. Denn Anthelmine brachte nicht nur die aufgewärmte Milch, sondern
auch ein dickes Suppenhuhn, das der Pächter des Weinberges ihr angeboten hatte.
Mrs. Packett, die in Geflügel äußerst sachverständig war, vergaß sofort alles
andere und befühlte die Brust des Huhnes. Sie befühlte es gründlich, wog es und
gab schließlich ihre Zustimmung, und als sie sich zur Kaffeetafel zurückwandte,
war ihre Schwiegertochter verschwunden.
    Der Weg nach Belley war etwa vier
Meilen lang und der Tag sehr heiß. Aber Julia — das gelbe Seidentuch um den
Hals, den Hut keck auf einem Auge — ließ sich wenig davon anfechten. Sie fühlte
sich ungewöhnlich beschwingt. Jedem, der vorüberkam, lächelte sie freundlich zu,
und beinahe hätte sie den Tod von zwei radfahrenden Soldaten auf dem Gewissen
gehabt, die sich nach ihr umdrehten, um ihr zuzuwinken. Julia winkte zurück.
Sie winkte auch dem Auto zu, das die beiden um ein Haar überfahren hätte; und
es dauerte nicht lange, so fing sie an, leise vor sich hinzusingen.
    Sie sang die Marseillaise. Sie hatte
sich wiedergefunden.
     
    *
     
    Sobald sie in Belley angelangt war,
setzte sie sich unter einen Baum auf der Promenade und machte sich wieder
schön. Der lange Weg hatte sie gar nicht so sehr mitgenommen, und mit Hilfe von
Lippenstift, Rouge und Augenbrauentusche erstrahlte sie bald in jugendlicher
Frische wie ein Gänseblümchen. Aber kein Gänseblümchen konnte so rosige Farben
aufweisen wie die, in denen Julia jetzt erblühte; sie war nicht gerade
angemalt, aber sehr geschickt zurechtgemacht. So verschönt, ging sie sofort an
dem großen Café an der Autobushaltestelle vorbei — nur, um die Wirkung ihrer
Kunst zu erproben — und schritt dann über die Promenade auf das Hotel Pernollet
zu.
    Es standen nur vier Privatwagen davor
und nur ein einziger mit dem Schild: GB. Julia schlenderte vorbei und
betrachtete sich das Auto genau. Es war ein alter, aber gut erhaltener Daimler
mit einem älteren, gut aussehenden Schofför. Auf dem Rücksitz lagen zwei Luftkissen,
zwei englische Magazine und ein Reiseplaid. Die französischen Wagen, die
dahinterstanden, waren alle Zweisitzer, was darauf schließen ließ, daß ihre
Besitzer in Begleitung waren; und nach einiger Überlegung beschloß Julia, sich
an ihre eigene Nation zu halten. Sie warf noch einen Blick in den Daimler, ging
ein Stückchen die Straße hinab und rieb sich mit philosophischem Gleichmut das
Rot von ihren Lippen wieder ab.
    Als sie wieder zurückkehrte, konnte sie
sich davon überzeugen, daß ihre Annahme richtig gewesen war. Die Besitzer des
Wagens, die gerade einstiegen, sahen genau so aus, wie sie es sich vorgestellt
hatte. Es waren zwei typische ältere Engländerinnen, wie sie in den
französischen Zeitungen karikiert werden. Ihre Ähnlichkeit mit einem Pferd war
unverkennbar. Als der zweite flache Rücken im Innern des Wagens verschwunden
war, ging Julia darauf zu und steckte den Kopf hinein.
    „Verzeihen Sie bitte“, sagte sie,
höflich wie eine echte Packett, „aber fahren Sie vielleicht zufällig nach Aix?“
    Die beiden Misses Marlowe antworteten,
nachdem sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten, ebenso höflich, daß dies
der Fall wäre.
    „Dürfte ich Sie dann wohl bitten“, fuhr
Julia fort, „so liebenswürdig zu sein und mich mitzunehmen? Ich habe nämlich
eben festgestellt, daß der nächste Autobus erst um vier Uhr geht, und meine
Kinder warten auf mich.“
    Die beiden Damen tauschten einen Blick.
Wenn Julia einen Schritt zurückgetreten wäre, hätten sie sich mündlich
verständigen können, und die Jüngere, die gerade einen Kriminalroman gelesen
hatte, würde wahrscheinlich Bedenken geäußert haben. Aber Julia wich nicht von
der Stelle. Sie blieb, wo sie war, halb schon im Wagen, und infolgedessen
erreichte sie,

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