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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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brachte
Julia jäh in die Gegenwart zurück. Aber selbst die Aussicht auf einen Ausflug
vermochte sie nicht aufzuheitern. Das war doch nur wieder mit Kosten verbunden...
    „Meinetwegen nicht“, sagte sie. „Ich finde
die Ruhe hier wunderschön.“
    „Aix würde dir auch gar nicht gefallen“,
pflichtete Susan ihr bei. „Es wimmelt von durchfahrenden Autos. Diese Städte
mit einem Kasino sind sich alle gleich.“
    Julia richtete sich auf. Ein Kasino —
und in Reichweite! Hoffnung, die sie niemals für lange Zeit verließ, kehrte in
ihr Herz zurück — nicht als eine bescheidene Taube mit dem Ölzweig, sondern als
stolzer Pfau, der ein prächtiges Rad schlug. Mit fünf Francs konnte man in
einem Kasino ein Vermögen gewinnen! Man konnte die Bank sprengen und plötzlich
Millionär sein! Julia hatte keine Ahnung von den Spielregeln, sie hatte nur
gehört, daß Anfänger immer Glück hätten und daß es eine sehr beliebte Taktik
sei — falls man kein Anfänger war und folglich Pech hatte —, so zu tun, als ob
man sich das Leben nehmen wollte, und zu warten, bis einem die Croupiers die
Taschen mit barem Geld vollstopften, und dann zu verschwinden. Auf jeden Fall
konnte man auf die eine oder andere Weise zu Geld kommen, und Julia war so
ausgehungert nach Aufregungen, daß sie fast hoffte, sie müsse den zweiten Weg
wählen. Aber erschießen würde sie sich nicht; sie würde vorgeben, Gift zu
nehmen — eine Kopfschmerztablette würde es wohl tun — und dann in eine
anmutige, Mitleid erweckende Pose zurücksinken. In Gedanken sah sie alles vor
sich. Und vielleicht würde der Mann, der sie fand, nicht der Croupier sein,
sondern ein amerikanischer Millionär, der sie ins Leben zurückrief und sich in
sie verliebte und sie in seinem riesigen Wagen entführte und ihr einen Automantel
schenkte, wie ihn die „Dame mit dem Ekel“ getragen hatte. Wenn es ein
waschechter amerikanischer Millionär sein würde— nein, ein englischer Peer
würde noch besser sein—, den könnte sie vielleicht sogar heiraten, so daß Susan
einen Stiefvater mit einem hohen Adelstitel bekäme... So spreizte Julias Pfau
seinen herrlichen Schweif, und Julia, ganz in Gedanken versunken, befand sich
bereits einige Minuten mit ihrer Tochter allein, ehe sie merkte, daß Mrs.
Packett und Bryan fortgegangen waren.
    „Hast du mit Großmutter gesprochen?“
fragte Susan unvermittelt.
     
    *
     
    „Über Bryan? Ja, natürlich.“ Gegen
ihren Willen konnte Julia einen Seufzer nicht unterdrücken. Sie hatte gar keine
Lust, über Bryan zu reden. Sie wollte viel lieber ihre Luftschlösser
weiterbauen, um den englischen Peer deutlicher vor sich erstehen zu sehen und
sich die Unterhaltung mit ihm auszumalen. Was bedeutete Bryan ihr neben dieser
vornehmen und faszinierenden Erscheinung? Immerhin besann sie sich auf ihre
Mutterpflichten, und Susan würde auch gar nicht locker gelassen haben. „Natürlich
habe ich mit ihr gesprochen“, wiederholte sie.
    „Und hast du irgend etwas ausgerichtet?
Fängt sie an einzusehen, wie töricht es von ihr ist?“ fragte Susan lebhaft.
    Julia zögerte. Hier bot sich eine
Gelegenheit, wenn sie eine wünschte, die ganze Situation zu klären — sich der
Rolle einer Verbündeten zu entledigen und sich endgültig auf die andere Seite
zu stellen. Aber wenn sie das tat, würde sie jedweden Einfluß, den sie
überhaupt besaß, verlieren. Noch hatte sie die Freiheit, sozusagen von beiden
Lagern aus zu sprechen, und wenn diese Lage für sie auch reichlich unbequem
war, würde ihr wohl für die nächste Zeit doch nichts anderes übrigbleiben,
fürchtete sie.
    „Es ist gar nicht so töricht“, sagte
Julia vom Packett-Lager aus. „Jedenfalls“ — sie schwenkte in das andere Lager
über — „von ihrem Standpunkt aus. Du bist noch sehr jung, Susan, und noch nicht
einmal mit dem College fertig —“
    „Ich kann mein Examen ja auch nach
meiner Heirat machen“, sagte Susan rasch.
    Julia hielt das für eine ganz
ausgefallene Idee, aber es machte ihr Hoffnung.
    „Es wäre nur nicht dasselbe, meinst du
nicht auch? Du wärest doch dann nicht mehr im Internat und könntest nicht mehr
alles so mitmachen. Warum kannst du denn nicht noch warten?“
    „Ich will nicht“, erwiderte Susan
eigensinnig. Es war ihr einziges Argument; sie preßte ihre Lippen trotzig
zusammen.
    „Wenn du an Bryan denkst“, hub Julia
wieder an.
    „Natürlich denke ich an Bryan. Keiner
sonst tut das. Niemand von euch macht sich klar, daß er dann auch drei

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