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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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Jahre
warten soll.“
    „Nun ja“, sagte Julia leichthin, „aber
ich glaube, er wird es schon aushalten.“
    Plötzlich — nur einen Augenblick lang —
verlor Susan ihre Beherrschung. „Zweifellos wird er das“, sagte sie erbittert,
und mit hochrotem Kopf stand sie auf und ging weg.
    Julia blieb noch sitzen. Das ist es
also! dachte sie. Also das ist es!
     
    *
     
    Susan tat ihr sehr leid. Jedes junge
Mädchen hätte ihr leid getan, das die traurige Entdeckung machen muß, daß ihr
Geliebter es mit der Treue nicht so genau nimmt. Und obwohl es in diesem Fall
zweifellos auch sein Gutes hatte, weil Susan dadurch Bryan sehen lernte, wie er
wirklich war, empfand Julia in diesem Augenblick mehr Mitleid mit ihr als je
zuvor. Sie war aufrichtig bekümmert; aber Mitleid und Kummer hielten niemals
lange bei ihr an. Susans Nöte waren nicht so dringlich. Das Wichtigste war
jetzt, sich zu überlegen, wie sie, Julia, nach Aix gelangen konnte.
    Ihre fünf Francs, die Grundlage ihres
künftigen Vermögens, durften nicht angegriffen werden, und einige Sekunden lang
spielte Julia mit dem Gedanken, ihre Stellungnahme einem Familienausflug
gegenüber zu korrigieren. Wenn sie alle zusammen nach Aix fuhren, würde Mrs.
Packett den Wagen bezahlen, und die Frage des Hinkommens wäre damit gelöst.
Andererseits würde sie auf diese Weise in ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit
sehr gehemmt sein. Es würde ihr kaum gelingen, allein das Kasino aufzusuchen.
Julia hatte auch nicht die Absicht, sich im Beisein ihrer Tochter zu vergiften.
Susan würde ihr einfach ein Brechmittel einflößen. Ich muß es irgendwie
erreichen, ohne die anderen, dachte Julia, und es darf nichts kosten...
    Eine gute halbe Stunde überlegte Julia
hin und her, während es im Garten merklich kühler wurde und die untergehende
Sonne die Berghänge erglühen ließ. Eine große Libelle umschwirrte die
Rosenbüsche, und in der abendlichen Stille konnte man die heimkehrenden
Ochsenwagen auf der Landstraße von Magnieu deutlich hören. Aber Julias Gedanken
weilten ausschließlich in der Stadt. Sie umkreisten die Schliche und Listen,
mit denen sie sich schon manches Mal in London aus einer Klemme geholfen hatte.
Die hiesige Gegend war ihr unbekannt. Über Belley hinaus war ihr alles fremd;
sie wußte nicht einmal, in welcher Richtung ihr Märchenland lag...
    Aber Julia war um Einfälle nicht
verlegen, und als der letzte Sonnenstrahl hinter dem Weinberg verschwunden war,
hatte sie ihren Plan fix und fertig. Sie sah plötzlich — wie eine Erleuchtung —
die lange Reihe der Autos vor dem Hotel Pernollet stehen. Wie Susan ihr erzählt
hatte, kamen sie aus Aix; nach Aix würden sie demnach auch zurückfahren; und
wenn es ihr nicht gelang, von irgendeinem wohlbeleibten Franzosen mitgenommen
zu werden — na, dann war sie eben die alte Julia nicht mehr.
     
     
     

12
     
    A m nächsten Vormittag begann Julia um
zwölf Uhr auf den Gong zum Lunch zu warten. Es war sehr wichtig für sie, daß
das Essen heute pünktlich angerichtet wurde. Wenn die Mahlzeit wie gewöhnlich
um halb zwei endete, blieben ihr anderthalb Stunden für den Viermeilenweg nach
Belley. Denn die Gäste von Pernollet würden bestimmt nicht vor drei Uhr aufbrechen.
    Der Kaffee nach Tisch war der
springende Punkt. An trüben Tagen nahmen sie ihn im Eßzimmer und blieben nie
länger als zehn Minuten sitzen. Bei schönem Wetter jedoch tranken sie ihn im
Garten, wo die alte Dame immer gern etwas länger verweilte. Und das Wetter war
herrlich, ein strahlend blauer Himmel und die Sonnenhitze gedämpft durch eine
leichte Brise. Julia war froh darüber, weil sie nun ihr weißes Leinenkostüm
anziehen konnte, zu dem sie noch vor dem Fortgehen ein gelbseidenes Halstuch
umnehmen wollte. Aber sie konnte eine gewisse Nervosität nicht unterdrücken.
Statt direkt in den Garten zu kommen, ging Mrs. Packett erst noch in ihr
Zimmer. Sie mußten auf sie warten, und als sie erschien, schickte Susan, die
immer so eigen war, die Milch noch einmal zurück, damit sie wieder heiß gemacht
würde.
    „Ich trinke meinen schwarz“, sagte
Julia.
    Sie schluckte den Kaffee hastig
hinunter und stellte ihre Tasse auf den Tisch zurück. Susan hatte ein Buch bei
sich, Bryan sah schläfrig aus, und Mrs. Packett würde auch innerhalb der
nächsten zwei Minuten eingeschlafen sein. Julia stand fluchtbereit auf.
    „Weißt du, wie man Mürbeteig macht?“
fragte Mrs. Packett, die Augen wieder aufreißend.
    „Ja“, sagte Julia kurz. „Ich

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