Die vollkommene Lady
vielleicht sprechen
können, aber unter ihrem klaren, reinen Blick konnte er es nicht.
„Nun?“ fragte sie.
„Ach, nichts. Es ist Teezeit. Gehen wir
zurück.“
Hand in Hand stiegen sie den Pfad
hinunter. Unter den Nußbäumen küßten sie sich. Aber sie waren nicht glücklich
dabei.
11
F ünf Minuten lang waren Julia und Mrs.
Packett allein am Teetisch. Beide waren mit ihren Gedanken beschäftigt, Julia
mit dem verheerenden Problem ihrer Finanzen, während Mrs. Packett an etwas
Erfreulicheres dachte.
„Ich habe eine Liste aufgestellt“,
verkündete die alte Dame, „von allen meinen Bekannten in der Stadt, die als
Kunden für deine Konditorei in Frage kommen. Ich habe schon fünfzehn Namen
beisammen.“
„Ich wünschte, du machtest dir nicht so
viel Mühe“, sagte Julia aufrichtig.
„Es macht mir gar keine Mühe, meine
Liebe, im Gegenteil, es macht mir Freude. Du mußt dir eine hübsche Karte
drucken lassen, die werde ich dann meinen Briefen gleich beilegen. Ich glaube,
Kensington wäre dafür sehr geeignet, Susan hat mir erzählt, daß es da so viele
kleine Etagenwohnungen gibt.“
Julia sah überrascht hoch. „Das ist mir
nie aufgefallen“, sagte sie. „Ich glaube, in Kensington sitzen die Leute genau
so auf ihrem Geld wie anderswo.“
„Sie haben da keine richtigen Küchen“,
erklärte Mrs. Packett, die den Einwurf ihrer Schwiegertochter nicht verstanden
zu haben schien. „Nur eine Nische mit Gaskocher und Ausguß und folglich keine
Möglichkeit, selbst Kuchen zu backen. Ich bin überzeugt, daß das Geschäft da
sehr gut ginge. Wo bleibt denn Susan?“
„Da kommt sie gerade“, sagte Julia.
Die jungen Leute, die schon ganz dicht
über ihnen waren, waren, strahlend vor guter Laune, das letzte Stückchen Weg
gelaufen und boten einen reizenden Anblick. „Die lieben Kinder“, sagte Mrs.
Packett leise.
„Verflucht!“ murmelte Julia. Sie
fluchte niemandem im besonderen, am allerwenigsten Susan. Sie haderte nur mit
dem Schicksal, daß es sie, ohne einen Penny in der Tasche, an diesem Ort
festhielt, dem einzigen, wo man nicht ohne Geld sein konnte.
„Die Aussicht ist heute besonders schön“,
sagte Susan. „Du solltest auch mal hinaufsteigen.“
„Ich bin schon nach dem Lunch oben
gewesen“, sagte Julia. Es lag Susan offensichtlich daran, ihrer Mutter zu
verstehen zu geben, daß der Vorfall mit der Postkarte nun abgetan sein sollte,
und Julia wiederum gab sich alle Mühe, sich von ihrer liebenswürdigsten Seite
zu zeigen. Sie sprach begeistert von der Aussicht und beschrieb im einzelnen
die Schönheit des kleinen Mirabellenbaumes. Unter anderen Umständen hätte sie
gerade diese Art von Unterhaltung sehr genossen, aber heute konnte sie an ihrer
einwandfrei damenhaften Konversation kein richtiges Vergnügen finden. Sie
verfiel in Schweigen und ließ die anderen reden. Es war sehr heiß. Der Teetisch
unter den Pinien lag in tiefem Schatten, aber durch die dichten Zweige drang
hier und dort etwas Sonne. Ein Sonnenkringel lag auf Mrs. Packetts Schoß, und
Susans Haar flimmerte golden. Zwischen Bryans und Julias Stühlen hüpften
tanzende Lichtchen hin und her. Plötzlich verstummten sie alle, und in der
Stille hörten sie über sich einen leichten Stakkatoton, als ob jemand
wiederholt an eine Tür klopfte.
„Das ist ein Specht“, sagte Susan mit
sanfter Stimme.
Sie lauschten alle; wie auf Kommando
klopfte der Vogel wieder. Es klingt wie das Zeichen des Inspizienten, dachte
Julia. Ach, wäre er es doch! Wenn sie doch wieder in irgendeiner Garderobe säße
— meinetwegen auch mit Bananen auf dem Kopf —, was würde es dann ausmachen,
kein Geld zu haben! Es würden immer irgendwelche Mädchen dasein. von denen sie
sich etwas leihen konnte, und vor allem Männer und vielleicht auch ein
besonders netter junger Mann, der sie zum Abendbrot einladen würde! Ich würde
Bratfisch essen und dankbar sein, dachte Julia bei sich. Heimweh überwältigte
sie. Sie sehnte sich in ihre eigene Welt zurück, nach Menschen, die daran
gewöhnt waren, daß es einem schlecht ging, die das für ganz natürlich hielten
und meist selbst nichts hatten und daher voller Verständnis waren. Bratfisch,
dachte Julia sehnsüchtig. Ich würde Muscheln und Schnecken essen...
„In den nächsten Tagen müssen wir doch
mal nach Aix fahren“, sagte Bryan.
Susan zog die Brauen hoch.
„Warum denn?“
„Nur so mal rüberrutschen. Julia muß
doch mal was sehen.“
Der Klang ihres eigenen Namens
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