Die Wächter von Jerusalem
ebenso gut wie Arabisch oder Hebräisch. »Mein Na … Name ist Rashid.« Seine Zunge bewegte sich langsam und schwerfällig, wie ein alter, rostiger Schlüssel in einem ebenso alten, verrosteten Schloss. Die fremden Laute schienen ihm vertraut zu sein. Und plötzlich begann er sich an Silben und sogar Worte zu erinnern, wie an die Reime eines Verses, den er vor langer Zeit gelernt, aber schon ewig nicht mehr gehört hatte. »Es freut mich, dich kennen … kennen zu lernen.«
Jetzt standen sie einander gegenüber, so nahe, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihr Haar zu berühren. Ihr wunderbares Haar, das im Licht der durch die Fenster eindringenden Sonnenstrahlen schimmerte wie poliertes Holz.
»Ich freue mich auch, Rashid«, sagte sie. In ihren Augen tanzten kleine Funken. »Du sprichst sehr gut Deutsch.«
»Die … dort auch?«, fragte er.
Anne schüttelte den Kopf. »Nein, sie verstehen uns nicht.«
Er lächelte. Es war herrlich, hier zu stehen, mit ihr zu sprechen und genau zu wissen, dass er ihr alles sagen konnte. Er konnte ihr sagen, wie schön sie war, dass er sie liebte … Und doch würde sie kein anderer verstehen. Anne. Allah in Seiner unermesslichen Güte hatte ihnen eine eigene Sprache geschenkt . Für einen kurzen Augenblick fragte er sich, wie es dazu kommen konnte. Weshalb verstand er, der sein ganzes Leben in der Obhut der Janitscharen verbracht hatte, diese seltsame Sprache? Aber er schob den Gedanken beiseite. Darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen. Jetzt war es ohne Bedeutung. Jetzt stand er vor ihr. Und das war das Einzige , was zählte.
»Darf ich wohl wiederkommen?«
»Ja«, antwortete sie. »Herzlich gern. Zu jeder Zeit.«
»Danke.« Eine innere Stimme drängte ihn, sich endlich zu verabschieden, bevor er auch noch gegen die letzten Regeln von Höflichkeit und Anstand verstieß. Doch es fiel ihm so unendlich schwer. Ihr Blick hielt ihn in ihrem Bann. Und auf die kurze Entfernung konnte er den erregenden Duft ihrer Haut riechen. Weshalb konnte er nicht einfach bleiben, hier, bei ihr?
Weil du eine Pflicht zu erfüllen hast, ermahnte ihn sein Gewissen . Und weil ihr Cousin sich zu Recht bald wundern und von dir Rechenschaft für dein seltsames, unschickliches Verhalten fordern wird.
Rashid schluckte. »Auf Wieder…sehen«, sagte er. Und dann gelang es ihm endlich, sich von ihr abzuwenden. Es war ein Gefühl, als ob er aus der wärmenden Sonne in eine dunkle, feuchte, kalte Höhle treten würde.
»Ist alles in Ordnung mit Euch?«, fragte der Sohn des Kaufmannes mit einem Blick voller Spott, der sein Blut zum Kochen brachte.
»Natürlich«, fauchte Rashid ihn an. »Und selbst wenn nicht, hättet Ihr wohl kaum das Recht, danach zu fragen.«
Der junge Mann wich zwei Schritte zurück, weder aus Respekt noch aus Angst, sondern aus Vorsicht. Und Rashid hätte Wetten darauf abschließen können, dass der Sohn des Kaufmannes zu einem Messer gegriffen hätte, wenn sie sich nicht gerade im Haus seines Vaters, sondern in einer einsamen Gasse gegenübergestanden hätten.
»Verzeiht«, sagte der Kaufmann beschwichtigend und warf seinem Sohn erneut einen strengen Blick zu. »Es ist keineswegs unsere Absicht, Euch zu beleidigen. Seid gewiss, auch uns liegt daran, diesem Prediger das Handwerk zu legen.«
Rashids Nackenhaare sträubten sich, und augenblicklich schob er jeden Gedanken an Anne beiseite. Wie so oft hatten ihn seine Ahnungen auch dieses Mal nicht getrogen. Hier im Haus des Kaufmannes war er am richtigen Ort. Diese Leute wussten etwas über diesen Pater Giacomo.
»Warum?«, fragte er und ließ den Kaufmann nicht aus den Augen, um sich auch nicht die kleinste auffällige Geste entgehen zu lassen. »Ihr seid selbst Christen. Es dürfte Euch doch klar sein, dass auf den Prediger bestenfalls der Kerker, wahrscheinlich eher der Tod wartet, wenn wir ihn jemals finden. Und trotzdem wollt auch Ihr, dass wir bei der Suche erfolgreich sind. Warum?«
»Weil …« Der Kaufmann runzelte die Stirn und sah Rashid an, als wäre er sich noch nicht im Klaren darüber, ob er sein Vertrauen auch wirklich verdiente. »Ihr seid ein aufrichtiger Mann und wart offen zu uns. Also werden wir auch offen zu Euch sein. Wir«, er deutete auf seinen Sohn und Anne, » suchen ebenfalls nach diesem Pater Giacomo.«
Rashid starrte den Kaufmann ungläubig an. »Ihr kennt ihn? Wer ist er? Woher kommt er, und was …«
Der Kaufmann hob die Hand, und Rashid schwieg.
»Vielleicht kennen wir
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