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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Freude und Wut. Wie konnte er es wagen, einfach so in ihr Zimmer zu steigen? Wenn sie nun fest geschlafen hätte? Wäre er dann einfach über sie hergefallen?
    Mit wenigen Schritten war er bei ihrem Bett.
    »Habe ich dich geweckt?«
    »Was machst du hier?«, fragte Anne, ohne auf seine Frage einzugehen. Sie konnte doch wohl kaum zugeben, dass sie nicht geschlafen hatte, weil sie die ganze Zeit an ihn hatte denken müssen. »Wie kommst du hier herein?«
    »Durch das Fenster. Davor wächst ein Feigenbaum. Seine Äste sind kräftig genug, um einen Mann zu tragen.«
    Im Mondlicht sah sie das Lächeln auf seinem Gesicht. Wenn er verlegen war oder sich gar schämte, so verbarg er es gründlich. Im Gegenteil, er machte einen selbstbewussten Eindruck, so als hätte er das Recht, mitten in der Nacht in ihrem Zimmer aufzukreuzen.
    »Und woher wusstest du, dass dies mein Zimmer ist? Wenn du nun stattdessen bei der Köchin gelandet wärst. Oder gar im Schlafgemach meines Cousins.«
    »Ich war schon mal hier, vergessen? Gestern, während Yussuf euch im Speisezimmer verhört hat, habe ich euer Haus durchsucht. Jedes Zimmer. Auch dieses hier.« Sein Blick wanderte durch den Raum, streifte die Kommode, auf der ein Handspiegel, Haarkämme, Ohrringe und Parfumfläschchen ordentlich aufgereiht waren, und blieb schließlich wieder auf ihrem Gesicht haften. »Du wirst zugeben müssen, dass die Ausstattung dieses Raumes weder der Kammer einer Dienstmagd noch des Gemachs eines Hausherrn angemessen ist.«
    »Aber warum kommst du ausgerechnet jetzt, mitten in der Nacht? Das ist doch …«
    »Ich weiß, es mag anstößig sein. Jedoch folge ich deiner Einladung, Anne. Du sagtest, ich könne wiederkommen. Zu jeder Zeit. Wenn du die Nacht ausschließen wolltest, hättest du es mir sagen müssen.« Er lächelte sie an. »Du musst mir verzeihen. Ich konnte einfach nicht mehr bis morgen warten.«
    Anne schüttelte fassungslos den Kopf. »Und wenn dich nun jemand gesehen oder gehört hat?«
    »Niemand hat mich gesehen«, erwiderte Rashid und setzte sich neben sie auf das Bett. »Ich war sehr vorsichtig. Außerdem weiß ich, dass Allah uns beschützt.«
    Er war ihr jetzt so nahe, dass sie seine Wärme spüren konnte. Er trug weder seine Uniform noch seine hohe Mütze, sondern eine schlichte Hose und ein weites Hemd. Sein helles, im Mondschein silbrig schimmerndes Haar war etwas länger als bei anderen muslimischen Männern. Es begann sich an den Spitzen im Nacken und an den Schläfen zu Locken zu ringeln, und nur mühsam unterdrückte sie den Wunsch, sich eine davon um den Finger zu wickeln. Auch sein Bart war ungewöhnlich – nicht dunkel und buschig, sondern schmal rasiert an Oberlippe und Kinn. Er sah überhaupt nicht wie ein muslimischer Soldat, sondern eher wie ein verwegener Held aus einem Piratenfilm aus.
    »Woher willst du das wissen, Rashid? Woher willst du wissen , dass Allah uns beschützt?«
    »Weil wir zusammengehören, Anne. Es ist Sein Wille. Sonst hätte Er uns keine eigene Sprache geschenkt, und unsere Wege hätten sich niemals gekreuzt.« Er streckte seine Hand aus und streichelte ganz sanft ihr Gesicht. »Allah schützt die Liebenden . Und ich weiß, dass du es auch fühlst.«
    »Du bist verrückt.«
    »Ich weiß. Du bist keineswegs die Einzige, die das sagt.« Er zuckte gleichmütig mit den Schultern. Dann beugte er sich vor und küsste sie.
    Anne schloss die Augen und versuchte an alle Argumente zu denken, die es gegen eine Beziehung mit Rashid gab: Er war Moslem. Er hatte ein Gelübde abgelegt. Sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen, und dafür würde ihr nicht viel Zeit bleiben. Nach dreißig Tagen, nicht einen Tag länger, würde sie auf demselben Weg aus Jerusalem und dieser Zeit wieder verschwinden, auf dem sie hierher gekommen war. Bis dahin musste sie das Gegenmittel oder wenigstens einen Hinweis auf seine Herstellung gefunden haben. Und sie wollte ihren Sohn finden. Cosimos Worte aus seinem Brief fielen ihr wieder ein: «… Und lassen Sie sich trotz allem, was Ihnen in der Zeit ihres Aufenthaltes widerfährt, nicht davon abhalten, nach dem Rezept für das Gegenmittel zu suchen …« Hatte Cosimo dabei an Rashid gedacht ? Das Schlitzohr hatte natürlich genau gewusst, was ihr in der Vergangenheit widerfahren würde. Er hatte das alles ja schließlich bereits erlebt. Hätte er sie nicht besser darauf vorbereiten können? Dann wäre sie jetzt vielleicht stark genug, um Rashid einfach aus ihrem Zimmer zu werfen.
    Anne fühlte

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