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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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laufen, war zu groß. Aber gegen Mitternacht würde endgültig Ruhe eingekehrt sein.
    Rashid hörte, wie sich die Tür öffnete. Jemand trat leise in den Saal, doch Rashid erkannte ihn an seinen Schritten, und selbst das Geräusch seiner Atemzüge war unverwechselbar. Es war Omar. Im Zwielicht konnte Rashid sehen, wie der Kopf des Kochmeisters sich immer wieder von links nach rechts wandte, während er die Reihe der Betten entlangging und sein geübter Blick jeden Schläfer flüchtig streifte. Als er sich ihm näherte, schloss Rashid die Augen und tat, als ob er schliefe.
    Hoffentlich schlafe ich nicht tatsächlich ein, dachte er.
    Der Kochmeister blieb kurz an seinem Bett stehen. Was wollte Omar? Es klang, als ob er seufzen würde. Dann ging er weiter. Rashid hörte die Tür zuklappen. Trotzdem wagte er eine ganze Weile nicht, sich zu rühren. Er lauschte den Atemzügen seiner Kameraden, dem unverständlichen Gemurmel von Yussuf, und stellte sich vor, wie es sein würde, wieder bei Anne zu sein.
    Erst als die Stimmen und das Geräusch der Schritte draußen auf dem Kasernenhof erstarben und die Wachfeuer auf den Türmen etwas heruntergebrannt waren, wagte er es, sich zu erheben. Langsam und vorsichtig stand er auf und schlich zur Tür. Bevor er den Schlafsaal verließ, sah er sich noch einmal um. Die Kameraden schienen alle tief und fest zu schlafen. Ausgezeichnet.
    Lautlos huschte Rashid den langen, nur von zwei Fackeln spärlich erleuchteten Flur entlang, an den Unterkünften der Offiziere vorbei zu der Mauer, die die Kaserne von den umgebenden Häusern abgrenzte. In der Nähe der Ställe lagerte das Stroh für die Pferde. Es war so die Mauer entlang aufgehäuft, dass es ein Leichtes war, von dort aus auf die andere Seite zu klettern. Außerdem befand es sich zufällig genau an einer der wenigen Stellen, die im Schatten eines der Türme und damit außerhalb des Blickfelds der Wachtposten lagen. Ob es sich dabei um eine Vorsehung des Schicksals oder aber um den Einfall findiger Kameraden handelte, die denselben Weg nutzten, um hin und wieder unbemerkt der Enge und dem Drill der Kaserne zu entfliehen, hätte Rashid nicht sagen können. Es war ihm auch ziemlich gleichgültig, solange er auf diesem Weg unbemerkt zu Anne kam.
    Rashid schwang sich über die Mauer und sprang auf der anderen Seite in die Tiefe. Aufgestapelte Getreidesäcke fingen seinen Sturz ab, und rasch überquerte er den kleinen Innenhof. Die Mauer auf der gegenüberliegenden Seite war so niedrig, dass er sie ohne Hilfsmittel zu erklimmen vermochte, und von da aus konnte er die Straßen benutzen. Er musste nur Acht geben , nicht einer Patrouille in die Arme zu laufen. Doch er hatte Glück, weit und breit ließ sich kein Janitschar blicken. Und auch sonst schien er das einzige Lebewesen zu sein, das in dieser Nacht unterwegs war. Es war still in den Straßen, ja, es war so still, als hätten alle Bewohner die Stadt verlassen. Nicht einmal eine jagende Katze lief ihm über den Weg. Umso erschrockener war Rashid, als er ausgerechnet vor Annes Haus jemanden sah. Er hatte gerade die Mauer erklommen, als er Schritte hörte, die sich näherten und schließlich direkt vor der Stalltür Halt machten. So flach wie nur möglich presste sich Rashid bäuchlings gegen die Mauer. Spitze, scharfkantige Steine, zum Schutz gegen unerwünschte Eindringlinge in den Putz eingelassen , drückten sich in sein Fleisch. Ob der junge Tariq sich auch so vor den Wachen des Statthalters versteckt hatte, wenn er dessen jüngste Tochter Fatma hatte besuchen wollen? Vorsichtig spähte er über den Rand der Mauer.
    Dort unten stand eine dunkle, in einen langen Mantel gehüllte Gestalt und machte sich an dem Schloss zu schaffen. Von oben schaute sie seltsam breit und gedrungen aus, als würde er sie in der Innenseite eines Löffels gespiegelt sehen. Aber unter der weiten Kapuze konnte er kein Gesicht erkennen. Wer war das? Suchte etwa ein Dieb das Haus des italienischen Kaufmannes heim? Ein schwacher Lichtschein fiel auf die Straße, als die Gestalt die Stalltür öffnete. Für einen kurzen Augenblick verschwand das Licht wieder, als sich der Eindringling durch den schmalen Spalt zwängte, dann leuchtete es noch mal auf, um gleich darauf zu verlöschen. Die Stalltür war wieder zu.
    Behutsam drehte Rashid den Kopf und sah in den Innenhof des Hauses hinunter. Und tatsächlich brauchte er nicht lange zu warten. Die rundliche Gestalt durchquerte den Hof mit raschen , sicheren Schritten

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