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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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herauszuhalten. Er brauchte noch nicht einmal viel zu tun. Er musste nur ihre Adresse ausfindig machen. Oder ihre E-Mail-Adresse. Anne Niemeyer war Journalistin. Sie verfügte bestimmt über einen Computer mit Internetzugang . Und dann …
    »Sie wird sich bei uns melden, Cosimo«, sagte Anselmo. »Schon bald. Sie ist eine kluge Frau. Sie wird Erklärungen von uns fordern. Sie wird ihren Sohn suchen wollen. Und damit wird sie nicht lange warten. Da bin ich ganz sicher.«
    Cosimo stieß einen tiefen Seufzer aus. Dann lächelte er Anselmo an. Endlich. Die Krise war überwunden.
    »Mein lieber Freund«, sagte er und streckte ihm seine Hand entgegen. »Jener Tag, an dem du meine Börse gestohlen hast und ich dich zur Strafe dafür zu meinem persönlichen Diener gemacht habe, gehört wahrlich zu den besten meines Lebens.«
    Anselmo drückte die Hand und lächelte vor Erleichterung und vor Freude. Worte waren nicht nötig. Er und Cosimo kannten sich schon lange genug, um sich auch schweigend verständigen zu können.
    Als Anselmo wenig später in sein Zimmer im ersten Stockwerk des Hauses trat, hörte er die Klänge des Saxophons von Stan Getz, die aus dem Wohnzimmer zu ihm empordrangen.
    Das ist gut, dachte er. Wenn er Musik hört, hat er nicht nur seine Schwermut überwunden, sondern er ist auch beschäftigt. Und ich habe genug Zeit.
    Zufrieden schloss er die Tür hinter sich und schaltete seinen Computer an. Für gewöhnlich meldete ein Blinken auf dem Bildschirm des Computers in der Bibliothek Cosimo seine Aktivität, doch Anselmo hatte schon vor langer Zeit eine Möglichkeit gefunden, das zu umgehen. Noch während der Computer hochfuhr, gab Anselmo ein paar Befehle ein, die sein System vom Computernetz des Hauses abkoppelten und alle Spuren seiner Aktivitäten verwischten. Er war ein Dieb mit Leib und Seele. Das galt nicht nur für die Geldbörsen wohlhabender Leute. Mittlerweile stahl er bevorzugt Daten, und jetzt würde er sich die E-Mail-Adresse von Anne Niemeyer beschaffen .
    Im Jahre 1477 waren er und Cosimo Anne Niemeyer in Florenz zum ersten Mal begegnet. Damals war sie mit Cosimos Vetter Giuliano liiert gewesen, und sie hätte ihn auch gewiss geheiratet, wenn nicht das, was als »Pazzi-Verschwörung« in die Annalen der Geschichte eingegangen war, Giulianos Leben ein vorzeitiges, gewaltsames Ende bereitet hätte. Diese Begegnung im Jahre 1477 war der Grund, weshalb Cosimo Jahr für Jahr seinen Kostümball veranstaltete. Und er tat es, weil sie ihm 1477 eine Einladung zu diesem Ball unter die Nase gehalten hatte. Bei einem seiner Kostümfeste hatte Anne offenbar von ihm das Elixier der Ewigkeit zu trinken bekommen und war mit Hilfe dieses wundersamen Elixiers in die Vergangenheit gereist – eben ins Jahr 1477. Und weil man am Rad des Schicksals nicht drehen darf, hatte Cosimo gewartet, all die Jahre. Dass dieses langersehnte Ereignis am Samstag nun endlich eingetroffen war, änderte nichts an Cosimos Grundhaltung . Er würde wohl weiter warten, zur Not bis zum Jüngsten Tag. Anselmo brachte diese Geduld nicht auf.
    Anne Niemeyers E-Mail-Adresse ausfindig zu machen war eine Kleinigkeit. Anselmo brauchte keine halbe Stunde, um alles zu erledigen. Anne würde beim Einschalten ihres Computers eine E-Mail vorfinden, die sich so lange nicht löschen ließ, bis von ihrem Anschluss aus Cosimos Telefonnummer gewählt worden war. Anselmo streckte seine Glieder und schaltete den Computer wieder aus. Er war zufrieden mit seiner Arbeit. Dann ging er zu einer Truhe, die in der Ecke seines Zimmers stand. Die Truhe war nicht besonders groß, aber sie war sehr alt.
    So alt wie ich, dachte Anselmo. Allerdings habe ich mich deutlich besser gehalten.
    Das wurmzerfressene Holz war im Laufe der Jahrhunderte fast schwarz geworden, und die schweren Eisenbeschläge waren rau und verrostet. Er kniete vor der Truhe nieder, steckte einen großen, nach modernen Maßstäben unförmigen Schlüssel in das kompliziert aussehende Schloss und klappte den Deckel auf. Vor ihm lag ein Harlekinkostüm. Sein Kostüm.
    Anselmos Finger zitterten leicht, als er über den groben Stoff strich. Wie hatte er dieses Kostüm geliebt. Er hatte es geliebt , obgleich es an Ellbogen und Knien mehrfach geflickt war, obwohl einige Schellen an den Ärmelsäumen fehlten. Er selbst hatte das Kostüm ständig ausgebessert und regelmäßig nachgefärbt. Manchmal sogar mit Indigo oder Purpur – wenn er gerade genügend Geld gehabt hatte oder es ihm gelungen war,

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