Die Wächter von Jerusalem
fiel schließlich rücklings zu Boden . Er blieb liegen, ohne sich zu rühren oder einen Laut von sich zu geben, und einen quälenden Moment lang dachte Anne, dass er sich bei dem Sturz schwer verletzt hatte. Sie beugte sich über ihn. Rashid war blass, seine Augen waren weit aufgerissen, und er sah aus, als wäre ihm übel.
»Rashid!« Sie strich ihm durchs Haar. »Bist du verletzt?«
»Alles … in … Ordnung«, keuchte er atemlos. »Nur … keine Luft …« Allmählich schien es ihm wieder besser zu gehen , und gierig sog er die Luft in seine Lungen.
»Es tut mir Leid«, sagte Anselmo und sah beschämt auf den nach Atem ringenden Rashid hinab, »aber ich konnte nicht mehr, und …«
»Du hast mich gewarnt«, brachte Rashid mühsam hervor. Er streckte eine Hand aus und ließ sich von Anselmo wieder auf die Füße ziehen. Keuchend beugte er sich nach vorn und spuckte eine Hand voll Schleim auf den Höhlenboden.
»Wir sollten besser umkehren«, sagte Anne. »Vielleicht bist du verletzt. Wir können doch morgen wiederkommen und …«
»Nein«, entgegnete Rashid und richtete sich mühsam auf. »Das bringen wir jetzt zu Ende.«
»Seht mal«, sagte Anselmo, »an der Luke hängt ein Seil.« Er zog daran, und plötzlich fiel ihm etwas entgegen. »Eine Strickleiter!«
»Na also.« Rashid zog an der Strickleiter, um ihre Festigkeit zu prüfen. »Wer will zuerst?«
Und anstatt eine Antwort abzuwarten, kletterte er selbst hinauf. Anne hätte ihn am liebsten zurückgehalten. Er sah nicht so aus, als hätte er sich bereits wieder von seinem Sturz erholt.
Rashid verschwand in der Luke. Anselmo, Cosimo und Anne starrten nach oben, bis ihnen das Genick steif wurde. Endlich tauchte Rashids Gesicht wieder an der Öffnung auf.
»Nun? Was ist?«, rief Cosimo von unten zu ihm hinauf.
»Wir sind in einem Gebäude«, sagte er. »Kommt hoch und seht es euch an. Ich weiß zwar nicht, wo wir hier sind, aber es wird euch bestimmt beeindrucken.«
Einer nach dem anderen kletterte hoch. Anselmo und Cosimo blickten sich mit großen Augen um. Auch sie schienen dieses Gebäude nicht zu kennen. Aber Anne hatte es schon mal gesehen – auf Fotos in ihrem Reiseführer und im Internet.
»Der Palast ist es nicht«, sagte Cosimo.
»Die Kaserne auch nicht«, stellte Rashid fest. »Und es ist auch keine Moschee, obwohl diese Stille …«
»Wir sind in der Grabeskirche«, sagte Anne.
»Wirklich?«, fragte Cosimo und sah sich ungläubig um. »Ich war noch nie hier. Seid Ihr Euch sicher, Signorina?«
»Ja«, antwortete Anne. »Ich kenne die Grabeskirche von Fotos.«
Cosimo schaute sie verständnislos an.
»Was habt Ihr gesagt?«
»Ach nichts.«
»Wenn dies die Grabeskirche ist«, sagte Anselmo, »was machen wir dann hier? Wieso gibt es eine geheime Verbindung zu Salomons Steinbrüchen?«
»Vielleicht …«, begann Anne. Plötzlich hatte sie eine Idee. »Vielleicht hat es etwas mit der Geschichte dieser Kirche zu tun. Die Grabeskirche wurde vor langer Zeit von den Kreuzfahrern errichtet. Ist es nicht möglich, dass sie diesen Geheimgang selbst angelegt haben, um jederzeit in der Kirche Zuflucht suchen und vor Feinden fliehen zu können?«
Cosimo neigte den Kopf und sah sie überrascht an. Seine Augen begannen zu leuchten.
»Signorina Anne! Ihr wollt doch damit nicht etwa sagen, dass dies hier der Ort sein könnte, den Pater Joseph in seinem Brief erwähnt hat? Dass er diese Kirche meinte und dass das Pergament hier versteckt ist?«
Anne zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, aber es wäre doch möglich. Wenn nun deSaintClair keinen Code benutzt hat, sondern wortwörtlich gemeint hat, was er geschrieben hat, dann müsste das Pergament sich eigentlich hier befinden .«
»Es wäre auf alle Fälle einen Versuch wert, danach zu suchen.«
»Das hättest du dir früher überlegen sollen, mein Freund!«
Die Stimme kam von irgendwo aus den Tiefen der verwinkelten, unübersichtlichen Kirche, und plötzlich tauchte hinter einer Säule ein Mann auf. Keiner von ihnen hatte ihn näher kommen hören oder gar gesehen. Oder hatte er die ganze Zeit dort gestanden und sie beobachtet und belauscht?
Der Mann war in eine Kutte gekleidet, sein Kopf war fast kahl geschoren, und doch erkannte Anne ihn sofort. Weder dieses Gesicht noch diese Stimme würde sie je vergessen. Kaum zehn Meter von ihnen entfernt stand Giacomo de Pazzi und grinste sie an, als wollte er sie zu einer Teegesellschaft einladen.
»Sieh an, mein lieber Freund Cosimo de
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