Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
Sie hätte es nicht sagen können. Es war doch schließlich keine Schande, nicht zu jener Gruppe von Verrückten zu gehören, die ohne diesen merkwürdigen Sport nicht mehr in der Lage waren zu existieren.
    »Oh«, sagte Cosimo und wirkte so überrascht, als hätte sie ihm gerade eröffnet, sie könne leben, ohne Nahrung zu sich nehmen zu müssen. »Somit können Sie auch nicht ermessen, was Ihnen entgeht. Nicht wahr, Anselmo?« Der junge Mann in der Box neben Cosimo nickte geistesabwesend, während er seinen Schläger hin und her schwingen ließ und irgendeinen Punkt in der Ferne fixierte. »Sie erinnern sich doch noch an Anselmo?«
    Anne betrachtete den Mann genauer. Die schlanke Gestalt, das dunkle Haar, das unter der Golfkappe hervorschaute, das hübsche Gesicht. Sollte das wirklich Anselmo sein, derselbe Diener, der in Florenz Cosimo auf Schritt und Tritt gefolgt war? Die Ähnlichkeit war mehr als verblüffend. Aber was um alles in der Welt machte er jetzt hier? War auch er ein Zeitreisender wie Cosimo und – sie hatte immer noch Schwierigkeiten , sich damit abzufinden, obwohl sie versucht hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen – sie selbst? Anne atmete tief ein. In der Tat, es gab an diesem Tag viele Fragen zu klären.
    »Warum treffen wir uns hier?«, fragte sie, während Cosimo sorgfältig einen weißen Golfball vor sich auf den Boden legte. »Weshalb musste es dieser Golfplatz sein?«
    »Er liegt in Ihrer Nähe. Und weil es keinen Ort gibt, an dem man sicherer vor unerwünschten Zuhörern ist als auf einem Golfplatz«, erklärte Cosimo und schwang seinen Schläger probeweise ein paarmal in der Luft hin und her, bevor er zum Schwung ausholte. Der Schläger durchschnitt die Luft mit dem Geräusch einer biegsamen Weidenrute. »Außerdem hilft mir das Spiel bei der Konzentration. Überall auf der Welt hat man im Laufe der Jahrhunderte Mittel und Wege zur inneren Einkehr gefunden. In Ostasien nutzt man den Schwertkampf oder das Bogenschießen für die innere Sammlung . Hier in Europa spielt man eben Golf. Und ich schätze, volle Konzentration wird nötig sein, um all die Fragen zu beantworten , die Sie – verständlicherweise – haben.«
    Zum ersten Mal fragte Anne sich, weshalb Cosimo sofort bereit gewesen war, sich mit ihr zu treffen. Er musste doch damit rechnen, dass sie wütend auf ihn war, ihn vielleicht sogar verklagen wollte. Und trotzdem hatte er keinen Moment gezögert , als sie ihn um eine Unterredung gebeten hatte. Im Gegenteil , er war es gewesen, der ihr das Treffen bereits für heute früh vorgeschlagen hatte. Er musste praktisch mitten in der Nacht nach Hamburg geflogen sein.
    Und wenn es nun eine Falle war? Cosimo hatte selbst gesagt , dass man auf einem Golfplatz ungestört war. Wenn sie hinter dem nächsten Hügel oder Wäldchen verschwanden, sodass man sie nicht einmal mehr vom Clubhaus aus sehen konnte, dann würde es ein Leichtes sein, sie unschädlich zu machen, sie für immer zum Schweigen zu bringen, damit sie sein sorgfältig gehütetes Geheimnis um das Elixier der Ewigkeit nicht ausplaudern konnte. Die beiden brauchten noch nicht einmal Waffen in ihren großen Taschen zu transportieren – obwohl sogar ein Gewehr darin nicht aufgefallen wäre. Einem gut platzierten Hieb mit einem der Golfschläger würde ihr Schädel niemals standhalten können.
    Anne wurde abwechselnd heiß und kalt. Warum war sie nicht schlauer gewesen? Weshalb hatte nicht sie die Bedingungen diktiert und sich mit Mecidea irgendwo in der Stadt getroffen , dort, wo es genügend Menschen gab, die sie im Zweifelsfall um Hilfe rufen konnte?
    »Was ist, Anne?«, erkundigte sich Cosimo und legte sich einen weiteren Ball zurecht. »Ist Ihnen nicht wohl? Sie sehen plötzlich so blass aus.«
    »Nichts, es ist …«
    »Ich weiß, Sie sind ein wenig überanstrengt. Alles, was Ihnen widerfahren ist, muss Sie sehr aufgeregt haben. Glauben Sie mir, ich kann es sehr gut verstehen. Auch mir ging es damals kaum anders, und dabei wusste ich, was ich tat. Oder nahm zumindest an, es zu wissen. Aber ich kann Ihnen versichern …« Er holte Schwung und sah dem kleinen weißen Ball nach, der in einem schönen Bogen auf die Fahne zuflog. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich alle Ihre Fragen beantworten werde, sofern es in meiner Macht steht.«
    »Herr Mecidea, ich …«
    »Nennen Sie mich ruhig Cosimo, Anne«, unterbrach er sie mit einem Lächeln. »Schließlich hätten Sie beinahe meinen Vetter Giuliano geheiratet. Sie sind die

Weitere Kostenlose Bücher