Die Wächter von Jerusalem
Anne,
wenn Sie diese Zeilen lesen, befinden Sie sich bereits auf dem Flug nach Jerusalem. Anselmo hat Ihnen die notwendigen Unterlagen ausgehändigt. Sie werden feststellen, dass sich Ihr Hotel in einem historischen Gebäude mitten in der Altstadt von Jerusalem befindet. Dieses Haus war bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts im Besitz meiner Familie. Wir unterhielten dort ein Handelskontor, in welchem ich einige Zeit für das Wohl und den Reichtum der Medici tätig war. Es diente mir jahrzehntelang als Versteck vor den aufmerksamen Augen meiner Familie und der übrigen Florentiner, die argwöhnisch und voller Neid meine scheinbar ewige Jugend beobachteten. Sie werden also, und ich hoffe sehr, dass Sie diesen Umstand nicht zu verdrießlich finden, Anselmo und mir erneut begegnen. Genauer gesagt werden Sie in meiner Bibliothek wieder aufwachen.
Bevor Sie sich jedoch in dieses ›Abenteuer‹ begeben, muss ich Ihnen noch ein paar wichtige Einzelheiten über das Elixier der Ewigkeit und den Umgang mit ihm verraten.
Die Menge in der Pipettenflasche reicht aus, um Sie direkt in das Jahr 1530 zu bringen. Sie sollten den Inhalt der Flasche in ein Glas schütten, welches Sie anschließend mit Wasser auffüllen. Trinken Sie das Glas in einem Zug leer. Anfangs werden Sie sich ein wenig berauscht fühlen, so als hätten sie Champagner getrunken. Danach werden Sie müde werden und einschlafen. Die zeitverschiebende Wirkung des Elixiers setzt nach etwa zehn Minuten ein. Da sich die Dauer Ihres Aufenthalts in der Vergangenheit nach der Dauer ihres Schlafes richtet, sollten Sie auf keinen Fall vergessen, sich etwa eine halbe Stunde später wecken zu lassen. Deshalb werden Sie in ihrem Zimmer einen zuverlässigen Wecker finden . Außerdem ist der Weckdienst des Hotels meiner Erfahrung nach überaus verlässlich, sodass Sie kein Risiko eingehen werden, die Zeit zu ›verschlafen‹, wenn Sie beides in Anspruch nehmen.
Ich glaube nicht, dass ich den Ereignissen vorgreife, wenn ich Ihnen bereits jetzt mitteile, dass Sie in Jerusalem sowohl Giacomo de Pazzi als auch ihrem Sohn begegnen werden. Seien Sie also gewappnet. Und lassen Sie sich trotz allem, was Ihnen in der Zeit Ihres Aufenthaltes widerfährt, nicht davon abhalten, nach dem Rezept für das Gegenmittel zu suchen. Bei allem, was Sie tun, müssen Sie stets bedenken, dass dieses Mittel der einzige Weg ist, um Giacomo de Pazzi zu stoppen. Es ist die einzige Waffe im Kampf gegen einen Wahnsinnigen. Die dringende Notwendigkeit, Giacomo aufzuhalten, wird Ihnen schnell deutlich, sobald Sie erst die Vergangenheit erreicht haben werden.
Was nun Ihre verständlichen Befürchtungen angesichts der erheblichen Nebenwirkungen des Elixiers angeht, so kann ich Sie beruhigen. Diese stellen sich erst nach einem gewohnheitsmäßigen oder falschen Konsum ein. Laut Merlins Handschrift – und ich habe keinen Grund, dem großen Meister selbst nicht zu glauben noch die Echtheit der zweiten Seite des Manuskripts anzuzweifeln – ist das Elixier ungefährlich, wenn es seltener als fünfmal eingenommen wird. Es sei denn, man würde es unverdünnt trinken. Dann entfaltet es augenblicklich seine volle Wirkungsbreite – wie Anselmo an sich feststellen musste.
Das sind die Details, die Sie über das Elixier der Ewigkeit und Ihre Reise wissen müssen, alles andere wird sich finden, sobald Sie Jerusalem und die Vergangenheit erreicht haben. Doch bevor ich diesen Brief schließe und Ihnen viel Erfolg für Ihren ungewöhnlichen Auftrag wünsche, lassen Sie mich bitte noch eines klarstellen: Ob Sie das Elixier trinken oder nicht, bleibt allein Ihre Entscheidung. Statt sich auf die Reise ins Ungewisse zu begeben, können Sie ebenso gut wie andere Touristen auch die Sehenswürdigkeiten der Stadt genießen und am Samstag wieder nach Hause fliegen. Ich kann und will Sie nicht dazu zwingen, sich in dieses Abenteuer zu stürzen , und ich werde Ihnen auch gewiss keine Vorwürfe machen . Allerdings – das gebe ich offen zu – hoffe ich, dass Sie sich anders entscheiden mögen. Wenn nicht … Nun ja, auch damit würde ich leben. Lassen Sie sich also durch die Hoffnungen eines alten Mannes nicht beeinflussen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, ganz gleich, wie Sie sich auch entscheiden werden, und verbleibe
Ihr ergebener
Cosimo de Medici
PS: Rufen Sie mich an, wenn Sie Fragen haben, es Schwierigkeiten gibt oder Sie mich aus anderen Gründen sprechen wollen. Meine Telefonnummer steht auf der beiliegenden Karte. Unter
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