Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
fehlten, der Verkehr regelte sich …
    »… irgendwie. Entweder von selbst oder durch die Hand Gottes«, wie der Taxifahrer ihr lachend in fließendem Englisch erklärte.
    Überall waren Menschen zu sehen. Unmengen von Menschen . Touristen in kurzen Hosen, mit Hüten und Kameras um die Schultern. Tief verschleierte Frauen, mit prall gefüllten Einkaufstaschen in den Händen, aus denen Brot, Gemüse oder Obst hervorschaute. Geschäftsfrauen mit schicken Frisuren und gut sitzenden Kostümen, die auf ihren Pumps eilig zum nächsten Termin hasteten und die Zeit noch für ein kurzes Telefonat mit ihrem Handy nutzten. Junge, modern gekleidete Männer und Frauen auf Motorrollern und mit Büchern und Aktenmappen unter den Armen, vielleicht Studenten auf ihrem Weg zu Vorlesungen. Anne sah Nonnen und Mönche in schwarzen, grauen, braunen und weißen Kutten, die zum Teil auf Fahrrädern ihre Einkäufe in das nächste Kloster, Krankenhaus oder Kinderheim brachten oder aber Fotos von den alten Häusern machten wie andere Touristen auch. Orthodoxe Popen, die in langen Mänteln bedächtig daherschritten und mit ihren rauschenden Bärten und seltsamen Kopfbedeckungen ein wenig so aussahen, als wären sie versehentlich aus dem Mittelalter in die Neuzeit versetzt worden. Zionistische Juden mit Schläfenlocken und breitkrempigen schwarzen Hüten eilten über die Straßen vorbei an Männern in knöchellangen Gewändern und mit Rosenkränzen in den Händen, deren Perlen durch ihre Finger liefen, während sie sich miteinander unterhielten . Beim Blick auf die Straßen und in die schmalen Seitengassen wirkte das alles friedlich und selbstverständlich. Und doch spürte Anne selbst durch die Fensterscheiben des Taxis die Anspannung und Angst. Sie sah es in den Gesichtern der Menschen, an denen sie langsam im Schritttempo vorbeifuhren . In ihren Augen, die wachsam jede Bewegung in den Hauseingängen , jedes abgestellte Fahrrad genau beobachteten. Und an den kurzen, hastigen Blicken über die Schultern. Selbst das Gesicht des jungen Taxifahrers zeigte diese Spannung. Als ob er an der nächsten Straßenecke ein bewaffnetes Kommando der Hamas erwarten würde.
    »Sie haben eine gute Beobachtungsgabe«, sagte der junge Fahrer, als Anne ihn darauf ansprach. »Tatsächlich rechnen wir hier jeden Tag mit dem Schlimmsten. Erst vor ein paar Tagen konnte ein Anschlag in letzter Sekunde verhindert werden. Eine Selbstmordattentäterin wollte sich in einem Bus in die Luft sprengen, doch ein alter Mann hat es bemerkt und sie davon abgehalten, in den Bus zu steigen. Sie ist davongelaufen. Wir hier halten es beinahe für ein Wunder. Es war am frühen Nachmittag, und der Bus war voller Kinder, die auf dem Weg von der Schule nach Hause waren.« Er schwieg einen Moment und strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. »Natürlich gehe ich regelmäßig zur Wahl, und meinen Militärdienst habe ich auch abgeleistet, doch sonst halte ich mich aus der Politik heraus . Aber Gewalt – von wem und gegen wen auch immer – finde ich falsch. Es ist der falsche Weg. Wenn unsere Soldaten die Häuser der Palästinenser beschießen oder die Palästinenser unsere Busse in die Luft sprengen, so sterben immer auch Menschen, die völlig unschuldig sind – Kinder, Männer und Frauen, die nichts anderes möchten, als mit ihren Familien ein langes, friedliches und glückliches Leben zu führen. Und das wiederum schürt nur neuen Hass. Aber was soll man dagegen tun?« Er zuckte mit den Schultern, setzte einen Blinker und bog in eine Gasse ein, die so schmal war, dass stellenweise die Seitenspiegel des Wagens fast die Häuserwände berührten. »Ich weiß keine Lösung. Diese Spirale der Gewalt lässt sich wohl nicht aufhalten. Unsere Politiker sind da hilflos. Manchmal wünschte ich …« Er blickte sich nach allen Seiten um auf der Suche nach der richtigen Hausnummer. »Ich wünschte, König Salomon würde zurückkehren. Er war weise. Ein Mann wie er würde vielleicht einen Ausweg für uns alle finden.« Er trat auf die Bremse und drehte sich zu Anne um. »Wir sind da.«
    »Danke«, sagte Anne und kramte aus ihrem Portemonnaie ein paar Scheine hervor. »Das stimmt so.«
    »Vielen Dank«, erwiderte der junge Taxifahrer, und an seinem breiten Lächeln erkannte Anne, dass weniger auch mehr als genug gewesen wäre. »Ihr Hotel liegt ziemlich versteckt und abseits der üblichen Touristenrouten. Wenn Sie eine Stadtrundfahrt machen wollen oder einen Ausflug in die Wüste, dann rufen Sie

Weitere Kostenlose Bücher