Die Wächter von Jerusalem
mich an. Ich kann Ihnen auch einen Führer besorgen, wenn Sie wollen. Der Vetter meiner Frau ist Historiker. Er hat Zugang zu allen Museen und Bibliotheken der Stadt und weiß mehr über die meisten historischen Orte in Jerusalem und Umgebung als jeder Fremdenführer. Er hat sogar Zutritt zu den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Stollen der alten Steinbrüche Salomons und würde Sie bestimmt dorthin bringen.«
Er reichte Anne eine Visitenkarte.
»Vielen Dank«, sagte Anne und warf einen kurzen Blick auf die bunte, in einem jener billigen Automaten gedruckte Karte, die überall auf der Welt an Flughäfen und Bahnhöfen zu finden waren. Neben einigen hebräischen Zeilen stand dort in englischer Sprache »Benjamin Kozur, Taxi- und Fremdenverkehrsunternehmer «. »Ich danke Ihnen für das Angebot, aber ich werde vermutlich nicht lange genug in der Stadt bleiben.«
»Nun, vielleicht überlegen Sie es sich doch noch anders.«
»Ja, vielleicht.«
Sie nahm ihren Handkoffer und stieg aus. Glücklicherweise war die Gasse hier wenigstens so breit, dass sie die Autotür öffnen konnte. Benjamin Kozur nickte ihr freudestrahlend zu und fuhr davon.
Allein, mit dem Koffer in der Hand und ihrer Umhängetasche über der Schulter, blieb Anne vor dem Hotel stehen. Das Haus war alt, sehr alt, doch es war gut gepflegt und – so seltsam es hier mitten in Jerusalem auch klingen mochte – es erinnerte sie an Florenz. Aber war das wirklich ein Wunder? Wenn dieses Haus im 15. und 16. Jahrhundert der Familie Medici gehört hatte, so hatten sie es vermutlich nach ihren Wünschen und ihrem Geschmack erbauen lassen. Sie sah zu den schmalen Fenstern empor. Irgendwie war es schwer vorstellbar, dass dieses Haus ein Hotel sein sollte. Es gab keine breite Eingangstür , keinen Pagen, um Gäste zu empfangen, keine Blumenkübel vor dem Eingang, keinen roten Teppich, nicht einmal einen großen Schriftzug mit dem Namen des Hotels. Als ob Gäste unerwünscht wären. Vielleicht war es ein Geheimtipp, eine Adresse, die nur unter Freunden weitergegeben wurde. Oder war es nur das Spielzeug eines unermesslich reichen Mannes, der nicht darauf angewiesen war, mit dem Hotel Geld zu verdienen?
Womöglich befindet es sich immer noch im Besitz der Familie Medici, dachte Anne. Vielleicht hatte Cosimo es eigens für diesen Augenblick instand halten lassen, extra für den Moment , in dem sie, Anne Niemeyer, Journalistin aus Hamburg, hier ihr Zimmer beziehen sollte, um das Elixier der Ewigkeit zu trinken. Das klang zwar ziemlich überheblich, aber zuzutrauen wäre es ihm.
Anne lief ein Schauer über den Rücken. Ihr Mut, ihre Neugierde und ihr Wille drohten damit, sie zu verlassen. Am liebsten hätte sie jetzt sofort und auf der Stelle ihr Handy hervorgeholt und Benjamin Kozur angerufen.
Wenn du das tust, wirst du deinen Sohn nie wiedersehen, sagte sie sich. Dann packte sie den Griff ihres kleinen Koffers fester, atmete ein paarmal tief durch und stieg die zwei Stufen zu der blank polierten Eichentür empor.
Das Messingschild mit dem Namen »Hotel Altes Kontor« neben der Tür war kaum größer als ein gewöhnliches Namensschild . Und weil sich die Tür nicht öffnen ließ, drückte Anne auf den unter dem Schild befindlichen Klingelknopf. Ein Summen ertönte, und die Tür sprang auf. Noch einmal holte Anne tief Luft, dann ging sie hinein.
Das Foyer war beeindruckend. Die geschmackvolle, aus wenigen sorgfältig ausgewählten antiken und modernen Möbelstücken bestehende Einrichtung ließen es größer wirken, als es tatsächlich war. Ein heller, fast weißer Teppichboden dämpfte das Geräusch ihrer Schritte. Und an einer Wand hing ein wunderschönes modernes Gemälde. An einem kleinen schlichten Tresen aus dunklem Holz, kaum größer als ein antikes Schreibpult, stand eine junge Frau. Sie trug ein erstklassig sitzendes Kostüm, dessen warmer roter Farbton perfekt mit dem Licht und der Einrichtung des Foyers harmonierte und noch dazu ausgezeichnet zu ihrem dunklen langen Haar passte. Sie sah Anne so überrascht an, als hätte sie nicht mit ihrem Kommen gerechnet, doch dann lächelte sie.
»Frau Anne Niemeyer aus Hamburg?«, fragte sie in akzentfreiem Deutsch.
»Ja, das bin ich.« Anne trat zum Tresen und stellte ihren Koffer ab.
»Herr Mecidea hat Sie bereits angekündigt. Herzlich willkommen in Jerusalem. Mein Name ist Sharon.« Die junge Frau schüttelte Anne freundlich die Hand. »Verzeihen Sie bitte meine Überraschung, doch ich habe Sie ehrlich
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