Die Waechter von Marstrand
Leben, die alten Bodenbretter knarrten, und wenn neue Gäste eintrafen, wurden Türen geschlagen. Einige Neuankömmlinge machten Lärm. Im Treppenhaus brach eine Schlägerei aus, die Streithähne schienen männlich zu sein, aber die schrillen Schreie stammten von einer Frau. Agnes versuchte, einzelne Worte zu verstehen. Sie sprach Schwedisch, aber in einem merkwürdigen Dialekt.
Dann gab es andere Geräusche. Intime. Agnes schloss die Augen, wagte jedoch nicht einzuschlafen. Sie ging noch einmal zur Zimmertür und griff nach der Klinke. Es war eine einfache Holztür, die von innen mit einem Riegel verschlossen wurde. Erneut legte sie sich auf das Bett. Hinter den Wänden raschelte es, als ob dort etwas herumkrabbelte. Wahrscheinlich Ratten. Sie hoffte, dass die Wirtin bei den Gästen, die noch einen Abstecher zum Ausschank gemacht hatten, die Tranlampen eigenhändig ausmachte. Falls es brannte, würde sie es wohl kaum bis zur Treppe schaffen, und aus dem Fenster inden gepflasterten Hof zu springen, war vollkommen undenkbar. Sie fragte sich, ob Vater schlafen konnte und ob er jetzt an sie dachte. Und Mutter und Großmutter im Himmel, konnten die sie jetzt so einsam an diesem elenden Ort sehen? Sie meinte die Stimme ihrer Großmutter zu hören:
Slaap er een nachtje over, je zult zien dat dam alles beter voelt.
Vielleicht stimmte das, und vielleicht wäre alles nicht mehr so schlimm, wenn sie eine Nacht über die Sache geschlafen hatte.
Ihr Körper war müde, aber der Verstand kam nicht zur Ruhe. Dies war kein sicherer Ort, und Schlafende waren leichte Opfer. Die ganze Nacht lag Agnes wach und lauschte. Einige Male döste sie für einen Augenblick weg, um kurz darauf mit einem Schreck zu erwachen. Als die Morgendämmerung kam, war sie erschöpft.
Die Morgensonne wärmte ihr Gesicht. Agnes lächelte, bevor sie den Geruch der Seegrasmatratze wahrnahm und sich daran erinnerte, wo sie war. Sie betastete ihren Kopf und das kurze Haar. Was hatte sie getan?
Wäre es wirklich so schlimm gewesen, Bryngels Frau zu werden und auf Gut Vese zu leben? Sie hätte ihr Elternhaus und das Grab ihrer Großmutter besuchen können. Hier hatte sie niemanden. Sie war ganz allein. Und es juckte. Sie betrachtete ihre zerbissenen Arme. Wanzen. Dann dachte sie an die nächtlichen Geräusche und all die Menschen, die vor ihr in diesem Zimmer gewohnt und in diesem Bett geschlafen und einige andere Dinge getan hatten. Bei diesen Gedanken stand sie unverzüglich auf. Es war kalt im Raum, und der Boden fühlte sich feucht und klebrig an.
Agnes zählte ihr Geld, um ungefähr abzuschätzen, wie lang es reichen würde. Die Wahrheit war, dass sie keineAhnung hatte. Sie wusste, was ein Fass Tranöl kostete und was ein Fassmacher verdiente, doch wie viel musste man für eine Kanne Milch oder ein Mittagessen in einem Gasthaus bezahlen? Noch hatte sie ein Stück Käse und bisschen Brot übrig.
Das Brot schmeckte wie zu Hause und rief ihr ins Gedächtnis, wie Josefina in der Küche auf Gut Näverkärr Brote aus dem großen Ofen zog. Der Käse erinnerte sie an den Kuhstall und das, was die Magd von Gut Vese über Bryngel und nicht zuletzt über seinen Vater gesagt hatte. War er der Grund dafür gewesen, dass die junge Frau ins Wasser gegangen war? Agnes steckte sich noch ein Stück Brot in den Mund. Es gab keinen anderen Weg für sie außer dem, den sie eingeschlagen hatte.
Sie musste eine Arbeit und vielleicht einen Ort finden, wo sie etwas länger bleiben konnte. Falls Kapitän Wikström noch da war, konnte er ihr vielleicht einen Rat geben. Sollte sie es wagen, Großmutters Robbenfellkoffer im Zimmer zu lassen, oder sollte sie ihr Gepäck mitnehmen? Nachdem sie eine Weile gegrübelt hatte, steckte sie ihre Geldbörse ein und ließ den Rest dort. Entschlossen ging sie die Treppe hinunter. Obwohl ein kalter Nieselregen fiel, herrschte auf dem Kai Betrieb. Agnes bibberte. Stimmengewirr in mehreren Sprachen. Erstaunt, diese Sprache hier so häufig zu hören, erkannte sie Französisch, außerdem Holländisch, Deutsch und etwas, das sie für Englisch hielt, aber sicher war sie sich nicht. Überall waren Fischer, Frauen und Männer in farblosen Kleidern. Die schmutzigen Schürzen der Frauen waren voller Fischschuppen. Drei verrotzte Kinder, alle unter fünf, hingen der Frau am nächsten Fischstand am Rockzipfel. Sie starrten Agnes erschrocken an. Ein zahnloser Mann mit schwarzer Gesichtsfarbe und krummem Rücken schleppte einen Sack von einem der Schiffe
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