Die Wälder von Albion
wen sie nach dem Weg zum Haus von Macellius Severus fragen könnte.
Plötzlich fiel ein Schatten über sie. Senara hob erstaunt den Kopf und sah den Römer vor sich, dem sie vor einem Jahr in der Hütte des Einsiedlers begegnet war.
»Dich kenne ich doch«, sagte er, »oder irre ich mich?«
»Ja… «, murmelte sie errötend, »du warst auch einmal bei Vater Petros… «
Bei den Versammlungen der wenigen Nazarener in der Stadt hatte sie den Römer nie gesehen. Aber sie konnte Vernemeton nur selten verlassen, um an diesen Zusammenkünften teilzunehmen.
Zuerst war Senara nur aus Neugier zu den Nazarenern gegangen, aber dann erschien ihr das Latein als ein Bindeglied zu ihrer Mutter. Schließlich fand sie bei den Menschen dort Trost und fühlte sich von ihnen anerkannt.
Der gutaussehende, vornehme Römer betrachtete sie noch immer. Er war jünger, als sie anfangs gedacht hatte, und ihr gefiel sein Lächeln.
»Wohin möchtest du, mein Kind?«
»Zum Haus von Macellius Severus. Ich soll ihm diese Mädchen übergeben… «
»Ach, das sind also die Kinder… « Er zog die Stirn in Falten und lächelte dann wieder. »Das trifft sich gut. Dein Ziel ist auch mein Ziel. Darf ich dein Führer sein?«
Er streckte die Hand aus, und das ältere Mädchen ergriff sie lächelnd. Als er sie auf seine Schulter setzte, verzog Senara etwas erschrocken das Gesicht, aber als das Mädchen vor Freude laut jubelte, kam Senara zu dem Schluß, daß dieser Römer bestimmt kein schlechter Mensch war.
»Du kannst gut mit Kindern umgehen«, sagte sie, und er erwiderte: »Ich habe drei Töchter und bin Kinder gewöhnt.«
Er ist also verheiratet. Gehört er zu uns?
Nach kurzem Schweigen fragte sie: »Gehörst du zur Gemeinde von Vater Petros?«
»O nein«, erwiderte er, »aber meine Frau. Die Sekte ist nicht mehr verboten, sonst hätte der Einsiedler nicht wagen können, so lange in der Nähe der Stadt zu bleiben.«
Das stimmt nicht. Vater Petros wäre jederzeit zum Martyrium bereit!
Aber Senara hielt es für klüger, dem Römer nicht zu widersprechen. »Dann ist deine Frau meine Schwester in Jesus, und so sind wir miteinander verwandt.«
Er verzog spöttisch die Lippen und sah sie unglücklich an.
Er ist noch zu jung, um so bitter zu sein. Wer hat ihn wohl so tief verletzt?
Sie sagte freundlich: »Es ist wirklich schön, daß du mich begleitest.«
»Das ist für mich keine Mühe, Macellius ist mein Vater… «
Sie näherten sich einem großen Haus, das in der Nähe der Festungsmauer stand. Es war weiß gestrichen, und nach römischer Art war der Platz davor mit Steinplatten belegt. Der Römer klopfte an das Tor. Ein Sklave öffnete, und sie gingen durch einen langen überdachten Säulengang in einen Innenhof.
»Ist mein Vater zu Hause?«
»Er ist beim Legaten«, erwiderte der Mann. »Geh hinein, er ist bestimmt bald zurück.«
Es dauerte wirklich nur ein paar Minuten, bis Macellius eintraf. Senara war froh, denn die Kinder wurden unruhig. Macellius übergab die Mädchen einer dicken freundlichen Sklavin, die für sie sorgen würde, wie er sagte, bis er die richtigen Zieheltern gefunden hatte. Macellius bedankte sich bei Senara und fragte sie höflich, ob sie für den Rückweg eine Eskorte brauche.
Sie schüttelte schnell den Kopf. In Vernemeton dachten alle, Senara hätte die Kinder zu Verwandten ihrer Mutter nach Deva gebracht. Wenn sie, eskortiert von römischen Legionären, zurückkommen würde, hätten sich bestimmt die Gemüter erhitzt. Sie hätte sich zwar gefreut, von dem jungen Severus begleitet zu werden, aber diesen Gedanken schob sie schnell beiseite.
»Sehen wir uns wieder?« fragte er, und ein Schauer lief Senara über den Rücken.
»Vielleicht bei den Gottesdiensten… «, murmelte sie verlegen, und bevor sie rot wurde, lief sie schnell den Gang entlang und durch das Tor.
Julia Licinia tat nie etwas nur halb. An einem Tag im April forderte sie Gaius auf, sie zu einem Gottesdienst in den Tempel der Nazarener zu begleiten. Ihre Ehe war inzwischen zwar nur noch eine reine Formsache, aber Julia war trotzdem nach wie vor die Herrin seines Hauses. Deshalb fühlte sich Gaius verpflichtet, ihr nach außen hin zur Seite zu stehen.
Er hatte eine Scheidung erwogen, aber er wollte weder Licinius noch die Kinder verletzen, um irgendeine andere Römerin zu heiraten. Dem Kaiser wollte er sich nicht verpflichten, indem er eine Verbindung mit einer Familie einging, die in Domitians Gunst stand. Und wenn er sich durch eine
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