Die Wälder von Albion
gesagt: ›Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich.‹ Viele von uns, die heute abend hier zusammengekommen sind, haben ein Kind verloren und trauern. Aber ich sage euch, eure Kinder sind bei Jesus im Paradies. Ihr Eltern, die ihr trauert, könnt glücklicher sein, als jene Eltern, deren Kinder leben und von ihnen angehalten werden, falsche Götter anzubeten. Ich sage euch, es wäre für diese Kinder, die nicht gesündigt haben, besser, tot und in Sicherheit zu sein, als zu leben und den falschen Göttern zu dienen!«
Er machte eine Pause, holte Luft, und die Gemeinde seufzte.
Sie sind hierher gekommen, um sich einschüchtern zu lassen. Sie haben Angst vor dem angeblichen Zorn ihres Gottes, und sie sonnen sich im Gefühl ihrer tugendhaften Überlegenheit!
»Vergeßt nie, das erste Gebot lautet, du sollst deinen Herrn und Gott aus vollem Herzen und mit ganzer Seele lieben. Das zweite Gebot sagt, du sollst Vater und Mutter ehren!« rief Vater Petros mit Inbrunst. »Es stellt sich also die Frage, wie weit man einen jungen Menschen verantwortlich machen kann, wenn seine Eltern ihn dazu anhalten, ein heidnisches Idol anzubeten.
Es gibt Prediger in unserer Kirche, die gesagt haben, alle, auch die Kinder auf den Armen der Mütter, machen sich schuldig, wenn sie bei der Anbetung eines Götzenbildes anwesend sind. Andere jedoch sagen, wenn die Eltern ein Kind zur Anbetung eines falschen Gottes anhalten, und das Kind noch nicht die Vernunft hat, selbst zu entscheiden, dann bleibt es ohne Sünde. Ich glaube… «
Aber Gaius hörte nicht mehr, was Vater Petros glaubte. Es interessierte ihn auch nicht. Inzwischen wandte er seine Aufmerksamkeit einem sehr viel erfreulicheren Anblick zu. Er blickte versonnen auf Senara, die sich vorbeugte und andächtig den Worten des Einsiedlers lauschte. Die Predigt war für ihn vergessen. Gaius fand die christliche Zeremonie ohnehin viel zu langweilig. Es gab keine dramatischen Höhepunkte, keine Opfer, kein geheimnisvolles Mysterium, nicht einmal ein mitreißendes oder beklemmendes Ritual wie bei der Verehrung der Isis oder des Mithras. Der christliche Gottesdienst war in der Tat ebenso trocken wie das endlose Gerede der Philosophen.
Obwohl er jetzt das hübsche Mädchen betrachtete, dauerte es schrecklich lange, bis Vater Petros schließlich zum Ende seiner Predigt kam. Gaius wollte so schnell wie möglich gehen. Er hörte jedoch zu seinem Verdruß, daß die Ungetauften draußen im Vorraum warten sollten, während die Gläubigen an irgendeiner Art Liebesmahl teilnahmen. Er gab seinem Unmut so laut Ausdruck, daß Julia sich bereiterklärte, mit ihm die Kirche zu verlassen. Den Sklaven und Mägden ihres Haushalts erlaubte sie jedoch zu bleiben.
Gaius nahm die schlafende Quartilla auf den Arm, und sie machten sich auf den Weg zu Macellius. Aber bereits nach wenigen Schritten wollte auch Tertia getragen werden. Gaius wies sie energisch zurecht und forderte sie auf, sich wie ein großes Mädchen zu benehmen. Julia ging es gesundheitlich zwar wieder besser, aber sie war noch nicht stark genug, um das Kind zu tragen. Als Tertia zu weinen anfing, trat jemand zu ihnen und sagte liebenswürdig: »Ich werde das kleine Mädchen tragen.«
Gaius hätte das normalerweise nicht zugelassen, aber Senara hatte die schluchzende Tertia bereits hochgenommen, die sofort ruhig wurde und einschlief.
»Sie ist wirklich nicht schwer«, sagte Senara. »Ich bin daran gewöhnt, Kinder zu tragen!«
»Du bist eine wahre Christin!« sagte Julia gerührt, und Gaius zuckte mit den Schultern. So machten sie sich auf den Weg. Die Frauen unterhielten sich leise über belanglose Dinge, und Gaius stellte zu seiner Erleichterung fest, daß sie sich offenbar nicht sehr gut kannten. Er hatte den Eindruck, der Gottesdienst habe eine Ewigkeit gedauert, aber zu seiner Überraschung stellte er fest, daß die Sonne noch hoch am Himmel stand.
Als sie das Haus seines Vaters erreichten, erschien sofort der Haushofmeister am Tor und begrüßte sie. Tertia erwachte gähnend, und Senara stellte sie auf den Boden.
»Du mußt unbedingt bleiben und mit uns essen, denn unseretwegen hast du auf das Agape verzichtet«, sagte Julia.
»O nein, das kann ich nicht«, erwiderte das Mädchen verlegen. »Das ist sehr freundlich von dir, Domina , aber ich habe dazu keine Erlaubnis. Ich muß nach Hause zurück, sonst komme ich zu spät, und man wird mich vermissen. Selbst wenn man mich nicht bestrafen würde, dürfte ich
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