Die Wälder von Albion
Rundhaus genug trockenes Holz. Und so konnten sie wenigstens gemütlich am knisternden Feuer sitzen. Caillean brachte ein kleines Instrument zum Vorschein, das sie wie ein Kind sorgsam eingewickelt hatte, und spielte für sie. Eilan hatte nie eine Frau Harfe spielen sehen. Als Kind hatte man sie einmal geschlagen, weil sie die Harfe ihres Großvaters in die Hand nahm.
»O ja, unter uns Priesterinnen gibt es auch Sängerinnen«, sagte Caillean. »Ich spiele nur zu meinem eigenen Vergnügen. Aber ich glaube, Dieda wird eine Sängerin werden.«
»Das überrascht mich nicht«, sagte Eilan. »Sie hat eine wunderschöne Stimme und kann wirklich gut singen.«
»Bist du deswegen neidisch, mein Kind? Es gibt noch andere Gaben als Musik… « Die Priesterin hob die Augenbrauen und betrachtete Eilan nachdenklich. Dann sagte sie plötzlich: »Weißt du eigentlich, daß Dieda versehentlich an deiner Stelle berufen wurde?«
Eilan stockte der Atem. Sie hatte es in ihrem Inneren gewußt. Schon als Kind hatte sie immer die Priesterin gespielt, und dann waren da die Träume und Visionen…
»Hast du nie daran gedacht, Priesterin zu werden?«
Eilan ließ stumm den Kopf sinken. O ja, das hatte sie sich ersehnt, aber dann war Gaius gekommen. Wie konnte sie Priesterin werden, wenn sie für die Liebe zu einem Mann so empfänglich war?
»Nun ja, du mußt dich jetzt nicht entscheiden… «, sagte Caillean lächelnd. »Wir werden ein anderes Mal darüber reden.«
Eilan schloß die Augen. Ihr innerer Blick wanderte. Sie war entrückt und befand sich mit der Priesterin an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit. Sie standen in einem großen, weiten Ring aus mächtigen Steinen, die sich über ihnen wölbten und beinahe zu schließen schienen. Aber die große breite Öffnung in der Mitte war offen zum dunklen sternenübersäten Nachthimmel. Eilan sah, wie sie beide die Hände hoben und die Mondgöttin anbeteten, die als zarte, kaum wahrnehmbare silbrige Sichel direkt über ihnen stand. Sie zweifelte nicht daran, daß es Caillean war, die neben ihr stand, aber zu ihrer Überraschung hatte sie rote Haare. Sie sahen sich beide so ähnlich wie Schwestern. Und Eilan wußte plötzlich, daß ihr Gesicht so aussah wie damals in dem See im Wald.
Wir sind Schwestern…
mehr noch als Schwestern.
Wir sind Frauen…
mehr noch als Frauen…
Die Worte drangen aus der Tiefe ihres Bewußtseins, und sie klangen wie ein heiliger Gesang.
Blitzartig war die Vision zu Ende, und ihr wurde bewußt, daß sie bis zu diesem Tag noch nie mit Caillean gesprochen hatte. Aber es war wie bei Gaius. Eilan glaubte, Lhiannons Priesterin vom Anfang aller Zeiten zu kennen.
Caillean hatte lange gespielt und gesungen, als sich Mairi plötzlich erhob und einen Schrei ausstieß. Erschrocken deutete sie auf einen dunklen Fleck auf ihrem Kleid. Die beiden Frauen sahen sie überrascht an.
»Das Wasser fließt bereits«, sagte die Priesterin ruhig. »Nun Liebes, das Kind kommt, wann es will, und nicht dann, wenn wir es wünschen. Du solltest dich sofort ins Bett legen.«
Eilan war blaß geworden und begann zu zittern. Caillean sah es aus dem Augenwinkel und sagte mit ruhiger Stimme: »Eilan, geh zum Schafhirten und sag ihm, er soll noch mehr Holz bringen. Dann schürst du das Feuer, füllst den Kessel mit Wasser und bringst es zum Kochen. Mairi muß heißen Tee trinken, ehe das alles vorbei ist… und ich glaube, wir werden ihn auch brauchen.«
Caillean hoffte natürlich, daß Eilan sich beruhigen werde, wenn sie etwas tun konnte.
»Geht es dir jetzt besser?« fragte die Priesterin lächelnd, als Eilan zurückkam. »Ich halte es eigentlich für einen Fehler, daß man einer Frau erlaubt, bei einer Geburt anwesend zu sein, wenn sie selbst noch kein Kind zur Welt gebracht hat. Das macht ihr nur angst. Aber wenn du zu uns nach Vernemeton kommst, dann wirst du früher oder später die Arbeit einer Hebamme lernen müssen.«
Eilan schluckte und nickte tapfer. Sie war entschlossen, das Vertrauen der älteren Frau nicht zu enttäuschen.
In den ersten beiden Stunden fiel Mairi zwischen den einzelnen Wehen in einen leichten Schlaf. Wenn sie aufwachte, stieß sie erstickte Schreie aus, als habe sie einen Alptraum. Eilan saß auf der Bank neben dem Feuer und kämpfte tapfer gegen ihre Müdigkeit an. Es waren die dunkelsten Stunden der Nacht. Der Regen hatte etwas nachgelassen und trommelte leise, aber beharrlich auf das Dach. Eilan mußte eingeschlafen sein, denn sie spürte
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